Mittwoch, 26. Dezember 2012

Der schwarze Berg

Wir waren auf dem Weg zum schwarzen Berg.
So nannten wir ihn jedenfalls.
Knirschend rollten die Räder unserer Gefährte auf unser erhofftes Ziel zu.
Eigentlich war es eine riesige Kuppel aus schwarzem Metall von der Größe einer Stadt.
Erbaut um die „Verbliebenen“ vor Strahlung und dem mehr und mehr unwirtlicher werdenden Wetter zu beschützen.
Die Katastrophe lag hinter uns und wir hatten reagiert.
Vielleicht hatte Mutter Natur einfach keine Lust mehr auf uns Menschen.
Vielleicht hatte die Erde nur mal eben mit den Schultern gezuckt.
Wer wusste das schon.
Alle Erklärungen waren weder ausreichend, noch befriedigend.
Am Ende des Tages war es egal, ob Gott uns bestrafte, eine alte Prophezeiung eingetroffen war oder sich die magnetischen Pole umgekehrt hatten.
Die Welt wie wir sie kannten endete einfach.
Es zeigte sich, dass der Mensch im Grunde ein Kulturwanderer ist.
Er hatte in der Eiszeit begonnen, seine erste volle Blüte mit dem römischen Reich erlebt, sich durch das Mittelalter geschleppt, in der Industrialisierung sich wieder hochgearbeitet und nun war wieder alles zusammengebrochen.
Das wie und warum war egal.
Wichtig war zu wissen was für praktische Folgen die Veränderung der Umwelt auf das alltägliche Leben hatte.
Welche Pflanzen waren Beute, welche Jäger?
Was für eine Farbe hatte der Regen, wenn er giftig war?
Wie lockte man die Würmer aus dem Sand?
Man musste noch nicht einmal besonders talentiert sein um die neuen Regeln zu begreifen.
Man musste einfach nur überleben wollen.
Irgendwann stand jeder vor der selben Wahl.
Entweder verkümmerte er dort wo er war oder er machte sich auf den Weg.
Alleine mit dem was er hatte.
Oder er gründete mit anderen eine neue Kommune, kultivierte das Land und versuchte zu überleben.
Wenn beides nicht möglich war begab man sich zu einem schwarzen Berg.
Lange wurde ihre Errichtung geplant.
Über ihre Planung wurde lange und ausführlich berichtet.
Ob sie uns wirklich schützen würden war nie wirklich klar.
Es war ein Versuch.
Ein letzter großer Versuch um die alte Gesellschaft zu retten.
Niemand wusste ob er hinein kommen würde oder ob es überhaupt einen Eingang gab.
Ich hatte niemanden mit dem ich eine Siedlung hätte gründen können.
Ich hatte immer für mich selber gesorgt.
Alleine in meinem Haus zu versauern wollte ich nicht.
Also spannte ich die Pferde vor den Wagen und machte mich auf Weg zum schwarzen Berg.
Für mich war der Weg das Ziel.
Eigentlich war es für mich auch ein Abenteuer.
Ich hatte doch Pfeil und Bogen.
Mein Vater hatte mir doch das Jagen beigebracht.
Als Kind hatte ich Jahr um Jahr in irgendwelchen Lagern verbracht wo man auf sich alleine gestellt überlebt.
Ruhig und bedächtig reihte ich mich in die Schlange zum schwarzen Berg ein.
Er war nicht größer als mein Daumen.
Um mich herum turnten Väter und Mütter mit ihren Kindern.
Jeden Tag sah ich den Priester an uns vorbei kommen, der uns die Rettung unserer Seelen versprach.
Jeden Tag war mein Daumen größer als der schwarze Berg.
Jeden Tag ging ich zweimal hinaus in die Dörre um Nahrung zu finden.
Jeden Abend versorgte ich meine Nachbarn
Jeden Nacht lauschte ich dem Knirschen der Räder.
Jeder verdorrte Baum, der tagelang an uns vorüber zog, war willkommen.
So wussten wir, dass wir uns trotz unserer langsamen Geschwindigkeit weiter voran bewegten.
Frühmorgens konnte man jeden von uns aus den Wagen steigen sehen, um die verbliebene Entfernung abzuschätzen.
Ein Auge zugedrückt, einen Arm ausgestreckt, prüfte jeder ob der schwarze Berg nun größer war als der Daumen.
Vor mir war eine Familie mit Tochter und Sohn.
Vor ihnen eine andere Familie mit Tochter und Sohn
Hinter mir war eine Familie mit Tochter und Sohn.
Hinter ihnen war eine Familie mit Tochter und Sohn.
Jeden Tag kam der Priester vorbei an uns vorbei, um uns die Rettung unserer Seelen zu versprechen.
Jeden Tag ging ich zweimal hinaus in die Dörre um Nahrung zu finden.
Wo waren die Würmer?
Jagten wir die Pflanzen oder jagten sie uns?
Die Söhne folgten mir sobald sie groß genug waren.
Ich war ihr Anführer.
Ich hatte sie auf den Weg zu bringen.
So manche einsame und kalte Nacht verbrachten wir schweigsam miteinander.
Wo war das Wasser?
Wo war die Nahrung?
Die Töchter dankten es uns wenn wir erfolgreich zurück kamen.
Gierig nahmen wir ihre Dankbarkeit an
Die Väter verwerteten die Überreste.
Die Mütter hielten Kurs.
Jeder hatte jeden einmal jede Nacht Gast zu sein.
Jeder hatte einmal am Feuer des anderen zu sitzen und alte Geschichten zu erzählen.
Damals kam wunderliches weißes Zeug vom Himmel, welches kalt und einzigartig war.
Mann konnte ganze Schlachten damit schlagen und echte Männer damit bauen.
Damals wurde man nicht von Pflanzen attackiert, man attackierte sie und nutzte sie.
Damals lebte man in festen Gebäuden und musste nicht nach Wasser oder Nahrung suchen.
Damals gab es Licht wann immer man es wollte.
Unter uns knirschten die Räder.
Jeden Morgen stiegen wir aus unseren Wagen um uns zu vergewissern ob der schwarze Berg größer wurde als unser Daumen.
Jeden Morgen scharten sich die Söhne um mich.
Jeden Tag gingen wir zwei mal hinaus in die Dürre um Nahrung zu finden.
Jeden Abend dankten es uns die Töchter.
Jede Nacht erzählten wir uns Geschichten
Die Töchter wurden Mütter.
Die Söhne wurden Vater.
Der Priester wurde langsamer, bis schließlich ein neuer Priester kam, der unseren Seelen Erlösung versprach.
Jeden Morgen prüften wir ob unser Daumen größer war als der schwarze Berg.
Jeden Tag ging ich mit meinen Jungen hinaus um nach Nahrung zu suchen.
Ich werde den schwarzen Berg nicht erreichen.
Die Dürre ist meine Heimat.
Die Dürre ist mein Tod.


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