Schönsein ist kein Zustand, sondern ein Tun, ein Wirken
Robert Hamerling
Zwei
Wochen nachdem ich aus der klinischen Behandlung entlassen wurde bemerke ich,
wie ich wieder anfange gedanklich und damit auch körperlich zu versumpfen. Als
Kontrollpunkte dienen mir hier das letzte Jahr, meine Selbsthilfegruppe, die
wöchentlichen Besuche bei meinen Eltern und dieses Tagebuch.
Sicher hat
es durchaus etwas mit Eitelkeit zu tun, dass ich diese Einträge öffentlich
mach, aber gleichzeitig ist es auch eine Form der Selbstüberprüfung
Während
andere die Tage zählen, die sie nicht getrunken haben, muss ich darauf achten,
dass ich in Bewegung bleibe, damit ich nicht einroste und komplett versumpfe.
Wenn man die Anzeichen kennt, dann kann man ihnen auch entgegen wirken. Depression
wirkt langsam und nicht nur theoretisch hatte ich die Anzeichen eines
Rückfalls.
Wie ich
schon ganz zu Anfang erwähnt habe, bezeichne ich meine Macke als Motorschaden
im Kopf. Man muss sich das so vorstellen, dass mein Hirn eine Starthilfe braucht
um zu funktionieren. Diese Starthilfe sind klare und einfache Vorgaben.
Ich fange
langsam an. Den einen Tag gehe ich mir neue Hosen kaufen. Die Anschaffung war
eigentlich erst für den folgenden Monat geplant, da sich meine sonstige
Kleidung langsam auflöst, aber es gibt gerade Sonderangebote, das Konto gibt es
her und ich brauche etwas, das mir signalisiert, dass ich mich um mich selber
kümmere.
Den
nächsten Tag thematisiere ich meinen Zustand in der Selbsthilfegruppe und setze
gleichzeitig mein Vorhaben um, mindestens eine Stunde etwas in der Wohnung
aufzuräumen.
Den Tag
darauf nehme ich mir wieder die Stunde Hausarbeit vor und nehme mir als erstes
das Bad vor, es ist zwar für meine Begriffe sauber, aber was soll's. Nebenher
läuft die Waschmaschine. Als ich mit dem Bad fertig bin gehe ich zur Küche
über. Zwischendurch mache ich immer wieder Pausen und schreibe an Texten.
Nebenher läuft das Radio. Zum Abschluss beziehe ich das Bett neu.
Das
Wohnzimmer nehme ich mir für den nächsten Tag vor und setze mir gleichzeitig
die Frist von zwei Tagen um es zu erledigen. Nebenher hole ich meinen Stuhl aus
dem Hinterhof, der die ganze Zeit im Regen stand. Sitz und Lehne sind schon
aufgequollen, die besten Anzeichen um ihn neu zu gestalten.
Ein
bisschen hat mein Verhalten etwas von Pipi Langstrumpf, die mit sich selber
schimpft und wenn sie nicht auf sich selber hört, dann wird sie richtig ernst
mit sich selbst.
Bevor ich
zu der geplanten Abendgestaltung übergehe mache ich noch die Hälfte meiner
geplanten täglichen Sporteinheit, die ich in der letzten Woche habe schleifen
lassen.
Die
Abendgestaltung besteht aus einer Inszenierung des Schlossplatztheaters im
Windkanal in Adlershof. Vor dem Losgehen bin ich beim schreiben so gefesselt,
dass es mir schwerfällt mich davon zu lösen, also zwinge ich mich dazu
loszugehen.
Auf dem
Weg lasse ich mir durch den Kopf gehen was ich alles am Tag geschafft habe und
bin glücklich und stolz darauf, dass ich ein potentielles Tief erkannt habe und
gegengesteuert habe.
Ich bin
stolz auf mich.
Bevor es
in den Windkanal geht erinnere ich mich an eine ähnliche Situation, bei der ich
niedergeschlagen vor der eigentlichen Veranstaltung nach Hause gegangen bin und
kann mein Verhalten von damals nicht mehr nachvollziehen.
Im
Windkanal erwartet mich abgedrehte Science – Fiction mit zwei ideellen
Gegenpolen und ambivalenter Moral.
Also genau
das richtige für mich.
Die
Figuren sind in einem Raumschiff gefangen, ohne eigentlich zu wissen warum und
ob man dem allgegenwärtigen Computer eigentlich trauen kann. Bei den
kunstvollen Lichtinstallationen kommt mir die Idee wohin die Reise eines
gewissen Robert Lampe gehen könnte.
Der letzte
Tag ist der Sollzustand und ein neuer Bezugspunkt.
Diesen
gilt es auszubauen, damit ich kontinuierlich auf mich und auf das heute schauen
kann und dabei die gewünschte Normalität sehe.
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