Dienstag, 20. Juli 2010

Eristik Die Kunst immer recht zu haben Teil 1

Kunstgriff 1 (Erweiterung)
Die Erweiterung. Die Behauptung des Gegners über ihre natürliche Grenze hinausführen, sie möglichst allgemein deuten, in möglichst weitem Sinne nehmen und sie übertreiben; seine eigne dagegen in möglichst eingeschränktem Sinne, in möglichst enge Grenzen zusammenziehn: weil je allgemeiner eine Behauptung wird, desto mehreren Angriffen sie bloß steht. Das Gegenmittel ist die genaue Aufstellung despuncti oder status controversiae. 

Exempel 1. Ich sagte: »Die Engländer sind die erste Dramatische Nation.« – Der Gegner wollte eine instantia versuchen und erwiderte: »Es wäre bekannt, daß sie in der Musik folglich auch in der Oper nichts leisten könnten.« – Ich trieb ihn ab, durch die Erinnerung »daß Musik nicht unter dem Dramatischen begriffen sei; dies bezeichne bloß Tragödie und Komödie«: was er sehr wohl wußte, und nur versuchte, meine Behauptung so zu verallgemeinern, daß sie alle Theatralischen Darstellungen, folglich die Oper, folglich die Musik begriffe, um mich dann sicher zu schlagen.
Man rette umgekehrt seine eigne Behauptung durch Verengerung derselben über die erste Absicht hinaus, wenn der gebrauchte Ausdruck es begünstigt.
Exempel 2. A sagt: »Der Friede von 1814 gab sogar allen Deutschen Hansestädten ihre Unabhängigkeit wieder.« – B gibt die instantia in contrarium, daß Danzig die ihm von Bonaparte verliehene Unabhängigkeit durch jenen Frieden verloren. – A rettet sich so: »Ich sagte allen Deutschen Hansestädten: Danzig war eine Polnische Hansestadt.«
Diesen Kunstgriff lehrt schon Aristoteles Topik, VIII, 12, 11.
Exempel 3. Lamarck (Philosophie zoologique) spricht den Polypen alle Empfindungen ab, weil sie keine Nerven haben. Nun aber ist es gewiß, daß sie wahrnehmen: denn sie gehn dem Lichte nach, indem sie sich künstlich von Zweig zu Zweig fortbewegen; – und sie haschen ihren Raub. Daher hat man angenommen, daß bei ihnen die Nervenmasse in der Masse des ganzen Körpers gleichmäßig verbreitet, gleichsam verschmolzen ist: denn sie haben offenbar Wahrnehmungen ohne gesonderte Sinnesorgane. Weil das dem Lamarck seine Annahme umstößt, argumentiert er dialektisch so: »Dann müßten alle Teile des Körpers der Polypen jeder Art der Empfindung fähig sein, und auch der Bewegung, des Willens, der Gedanken: Dann hätte der Polyp in jedem Punkt seines Körpers alle Organe des vollkommensten Tieres: jeder Punkt könnte sehn, riechen, schmecken, hören, usw., ja denken, urteilen, schließen: jede Partikel seines Körpers wäre ein vollkommnes Tier, und der Polyp selbst stände höher als der Mensch, da jedes Teilchen von ihm alle Fähigkeiten hätte, die der Mensch nur im Ganzen hat. – Es gäbe ferner keinen Grund, um was man vom Polypen behauptet, nicht auch auf die Monade, das unvollkommenste aller Wesen, auszudehnen, und endlich auch auf die Pflanzen, die doch auch leben, usw.« – Durch Gebrauch solcher Dialektischen Kunstgriffe verrät ein Schriftsteller, daß er sich im Stillen bewußt ist, Unrecht zu haben. Weil man sagte: »ihr ganzer Leib hat Empfindung für das Licht, ist also nervenartig«: macht er daraus, daß der ganze Leib denkt.

Beispiel
1): „Peanuts“ ist eine Verengerung aller Banken (und Sparkassen) auf die Deutsche Bank, also instantia in contrarium [konkretisieren auf]: „Was für die Deutsche Bank Peanuts sind, ist für die Sparkasse der gesamte Jahresgewinn.“ (siehe auch 25: Apagoge) Sparkasse ist kein Finanzhai sondern wie die Forelle unter den Fischen.
Entgegnung ist aber auch die darauffolgende Erweiterung: „Die Kunden der Sparkassen sind die kleineren und mittleren Einkommen, dieses entspricht eher einer Solidargemeinschaft, diese wird durch den geringeren Umsatz teurer für den Einzelnen. Die kleinen und mittleren werden von der Deutschen Bank als Kunden abgelehnt. Die Sicherheit gibt jedoch die Sparkasse.“
   Kurz: Behauptung des Gegners übermäßig weit interpretieren, eigene Behauptung eng. Gegenmittel: Genaue Aufstellung des Streitpunktes.


Kunstgriff 2 (Homonymie)
Die Homonymie benutzen, um die aufgestellte Behauptung auch auf das auszudehnen, was außer dem gleichen Wort wenig oder nichts mit der in Rede stehenden Sache gemein hat, dies dann lukulent widerlegen, und so sich das Ansehn geben, als habe man die Behauptung widerlegt.
Anmerkung. Synonyma sind zwei Worte für denselben Begriff: – Homonyma zwei Begriffe, die durch dasselbe Wort bezeichnet werden. Siehe Aristoteles, Topik, I, 13. Tief, Schneidend, Hoch, bald von Körpern bald von Tönen gebraucht sind Homonyma. Ehrlich und Redlich Synonyma.
Man kann diesen Kunstgriff als identisch mit dem Sophisma ex homonymia betrachten: jedoch das offenbare Sophisma der Homonymie wird nicht im Ernst täuschen.
Omne lumen potest extingui (Alles Licht kann ausgelöscht werden)
Intellectus est lumen (Der Verstand ist ein Licht)
Intellectus potest extingui (Der Verstand kann ausgelöscht werden).
Hier merkt man gleich, daß vier termini sind: lumen eigentlich und lumen bildlich verstanden. Aber bei feinen Fällen täuscht es allerdings, namentlich wo die Begriffe, die durch denselben Ausdruck bezeichnet werden, verwandt sind und in einander übergehn.
Exempel 1.1) A. Sie sind noch nicht eingeweiht in die Mysterien der Kantischen Philosophie.
B. Ach, wo Mysterien sind, davon will ich nichts wissen.
Exempel 2. Ich tadelte das Prinzip der Ehre, nach welchem man durch eine erhaltene Beleidigung ehrlos wird, es sei denn, daß man sie durch eine größere Beleidigung erwidere, oder durch Blut, das des Gegners oder sein eigenes, abwasche, als unverständig; als Grund führte ich an, die wahre Ehre könne nicht verletzt werden durch das, was man litte, sondern ganz allein durch das, was man täte; denn widerfahren könne jedem jedes. – Der Gegner machte den direkten Angriff auf den Grund: er zeigte mir lukulent, daß wenn einem Kaufmann Betrug oder Unrechtlichkeit, oder Nachlässigkeit in seinem Gewerbe fälschlich nachgesagt würde, dies ein Angriff auf seine Ehre sei, die hier verletzt würde, lediglich durch das, was er leide, und die er nur herstellen könne, indem er solchen Angreifer zur Strafe und Widerruf brächte.
Hier schob er also, durch die Homonymie, die Bürgerliche Ehre, welche sonst Guter Name heißt und deren Verletzung durch Verleumdung geschieht, dem Begriff der ritterlichen Ehre unter, die sonst auch point d'honneur heißt und deren Verletzung durch Beleidigungen geschieht. Und weil ein Angriff auf erstere nicht unbeachtet zu lassen ist, sondern durch öffentliche Widerlegung abgewehrt werden muß; so müßte mit demselben Recht ein Angriff auf letztere auch nicht unbeachtet bleiben, sondern abgewehrt [werden] durch stärkere Beleidigung und Duell. – Also ein Vermengen zwei wesentlich verschiedener Dinge durch die Homonymie des Wortes Ehre: und dadurch eine mutatio controversiae, zu Wege gebracht durch die Homonymie.

Beispiele
2) : „...Kündigung nur um das Objekt in die Verwertung zu treiben, um dieses selbst zu nutzen“ ist eine Verallgemeinerung mit allen Banken , wir sind aber eine Sparkasse, die helfen will zu sparen - kein Polyp.
Daß "Sachbearbeiter Interesse am zu verwertenden Sicherungsgut" hätten (z.B. neues Fahrzeug der Luxusklasse) nicht widerlegen, würde zu lange dauern. Statt dessen Gegenangriff: „...ist ein Angriff auf die Ehre des Kaufmanns“ (Homonymie - Beleidigung).
Hingegen statt Homonymie im Wort „Regenschirm bei gutem Wetter“ Synonym einsetzen: Schirm ist nicht nur Regenschirm sondern auch Sonnenschirm, d.h. Schutz bei jedem Wetter.
[siehe
1: Exempel 1 und 2 und 3 und Anmerkung 1 unten]
   Kurz: Die vom Gegner aufgestellte Behauptung übermäßig auf das ausdehnen, was außer dem Wort nichts mit der Sache gemein hat; dies dann widerlegen und sich selbst den Anschein geben, als habe man die Sache widerlegt.

Kunstgriff 3 (Behauptung als absolut nehmen)
Die Behauptung1) welche beziehungsweise, kata ti, relative aufgestellt ist, nehmen, als sei sie allgemein, simpliciter, aplvV, absolute aufgestellt, oder wenigstens sie in einer ganz andern Beziehung auffassen, und dann sie in diesem Sinn widerlegen. Des Aristoteles Beispiel ist: der Mohr ist schwarz, hinsichtlich der Zähne aber weiß; also ist er schwarz und nicht schwarz zugleich. – Das ist ein ersonnenes Beispiel, das Niemand im Ernst täuschen wird: nehmen wir dagegen eines aus der wirklichen Erfahrung.
Exempel 1. In einem Gespräch über Philosophie gab ich zu, daß mein System die Quietisten in Schutz nehme und lobe. – Bald darauf kam die Rede auf Hegel, und ich behauptete er habe großenteils Unsinn geschrieben oder wenigstens wären viele Stellen seiner Schriften solche, wo der Autor die Worte setzt, und der Leser den Sinn setzen soll. – Der Gegner unternahm nicht dies ad rem zu widerlegen, sondern begnügte sich, das argumentum ad hominem aufzustellen »ich hätte so eben die Quietisten gelobt, und diese hätten ebenfalls viel Unsinn geschrieben«.
Ich gab dies zu, berichtigte ihn aber darin, daß ich die Quietisten nicht lobe als Philosophen und Schriftsteller, also nicht wegen ihrer theoretischen Leistungen, sondern nur als Menschen, wegen ihres Tuns, bloß in praktischer Hinsicht: bei Hegel aber sei die Rede von theoretischen Leistungen. – So war der Angriff pariert.
Die ersten drei Kunstgriffe sind verwandt: sie haben dies gemein, daß der Gegner eigentlich von etwas anderm redet als aufgestellt worden; man beginge also eine ignoratio elenchi, wenn man sich dadurch abfertigen ließe. – Denn in allen aufgestellten Beispielen ist was der Gegner sagt, wahr: es steht aber nicht in wirklichem Widerspruch mit der These, sondern nur in scheinbarem; also negiert der von ihm Angegriffene die Konsequenz seines Schlusses: nämlich den Schluß von der a href="wharheit.htm" target="_self">Wahrheit seines Satzes auf die Falschheit des unsrigen. Es ist also direkte Widerlegung seiner Widerlegung per negationem consequentiae.
Wahre Prämissen nicht zugeben, weil man die Konsequenz vorhersieht. Dagegen also folgende zwei Mittel, Regel 4 und 5. (Kunstgriffe 4 und 5 - Anm.d.R.)

Beispiel
2): Theoretisch sind die Leistungen aller Finanzinstitute (Banken, Versicherungen, Sparkassen) gleich. Direkte Widerlegung per negationem consequentiae: In der Praxis dagegen sind große Unterschiede: Großbanken akkumulieren Kapital um Wirtschaftsmacht zu erhalten, Kleinbanken und Sparkassen haben gar keine Chance gegen diese Riesen, sie müssen aber dennoch überleben im Interesse der kleineren Kunden. Da kleinere Kunden kleinere Einkünfte bringen, muß jeder Einzelne etwas mehr aufbringen, zumal er bei den Großen gar keine Chance hat.
   Kurz: Relative Behauptung absolut oder in sonst einem anderen Sinne nehmen und dann widerlegen; wahre Prämissen nicht zugeben, weil man die Konsequenz vorhersieht.

Kunstgriff 4 (Spiel verdecken)
Wenn man einen Schluß machen will, so lasse man denselben nicht vorhersehn, sondern lasse sich unvermerkt die Prämissen einzeln und zerstreut im Gespräch zugeben, sonst wird der Gegner allerhand Schikanen versuchen; oder wenn zweifelhaft ist, daß der Gegner sie zugebe, so stelle man die Prämissen dieser Prämissen auf; mache Prosyllogismen; lasse sich die Prämissen mehrerer solcher Prosyllogismen ohne Ordnung durcheinander zugeben, also verdecke sein Spiel, bis alles zugestanden ist, was man braucht. Führe also die Sache von Weitem herbei. Diese Regeln gibt Aristoteles, Topik, VIII, 1.
Bedarf keines Exempels.
   Kurz: Sein Verfahren tarnen: Prämissen unsystematisch einstreuen, Prosyllogismen machen, bis alles zugestanden ist, dann erst die Konsequenz ziehen.


Kunstgriff 51) (falsche Vordersätze gebrauchen)
Man kann zum Beweis seines Satzes auch falsche Vordersätze gebrauchen, wenn nämlich der Gegner die wahren nicht zugeben würde, entweder weil er ihre Wahrheit nicht einsieht, oder weil er sieht, daß die Thesis sogleich daraus folgen würde: dann nehme man Sätze, die an sich falsch, aber ad hominem wahr sind, und argumentiere aus der Denkungsart des Gegners ex concessis. Denn das Wahre kann auch aus falschen Prämissen folgen: wiewohl nie das Falsche aus wahren. Eben so kann man falsche Sätze des Gegners durch andre falsche Sätze widerlegen, die er aber für wahr hält: denn man hat es mit ihm zu tun und muß seine Denkungsart gebrauchen. Z. B. ist er Anhänger irgend einer Sekte, der wir nicht beistimmen; so können wir gegen ihn die Aussprüche dieser Sekte, als principia, gebrauchen. Aristoteles, Topik, VIII, 9.

Beispiel
2): Wird z.B. der Einwand: „Die relevanten Summen sind doch nur Peanuts für Sie“ einer Verhandlung vorausgesetzt ist dies ein falscher Vordersatz. Man nehme als Antwort einen ad rem falschen jedoch ad hominem aus der Denkungsart des Gegners richtigen Satz : „Sie zahlen eine hohe Miete für die Sicherheit Ihres Wohnens, weil Sie sich nicht dagegen wehren können. Ebenso müssen Sie ein angemessenes Geld für Ihre finanzielle Sicherheit zahlen. Im Vergleich zu Ihrer Miete sind Ihre Kosten bei uns Peanuts.“
Kurz: Unbekümmert auch falsche Vordersätze nehmen, wenn der Gegner die wahren nicht einsieht, die falschen aber akzeptiert (d.h. wenn diese ad hominem wahr sind). Denn das Wahre kann auch aus falschen Prämissen folgen.

DA HÄNG KLOTZ
die ersten anderthalb Jahre

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