Freitag, 6. April 2012

Der Ausbruch


Ich wurde gebissen. Was für ein Erfolg. Ich wurde gebissen.
Während mir der Arzt die Wunde desinfiziert und mir einen Verband verpasst überschlagen sich meine Gedanken.
Dies war ein klares Zeichen dafür, dass unsere Forschungen auf dem richtigen Weg waren.
Nach knapp fünf Jahren waren wir unserem Ziel, der Ursache von Aggressionen zu isolieren noch ein Stück näher gekommen. Von hier waren es nur noch wenige Schritte bis wir den genetischen Prozess soweit beeinflussen konnten, dass wir Tiere züchten konnten, die das Militär dann als Bodentruppen einsetzen konnten.
Die Grundidee war älter als wir alle, aber es sollte noch einmal versucht werden.
Wer die Idee dafür hatte weiß keiner mehr. Mir und den Kollegen war es auch egal.
Hauptsache die Gelder flossen und wir durften uns auf unserem Gebiet austoben.
Vielleicht hoffte irgendjemand irgendwo die Venus wieder unter die Herrschaft der Erde zu bekommen.
Der Krieg lag in den letzten Zügen und da wurden einige vielleicht verzweifelt was die möglichen Optionen anging.
Uns war es egal, wir durften spielen.
Mich hatten die Unterschiede zwischen wilden Tieren und ihren domestizierten Artgenossen schon immer interessiert.
Warum war ein Hund zutraulich, während ein Wolf Abstand nahm?
Wieso konnte man Kaninchen züchten, Hasen aber nicht?
Weshalb kommt die Brieftaube zurück, während ihr Cousin von der Straße einem das Auto ruiniert?
Natürlich gab es dafür evolutionäre Gründe. Erklärungen aus der Verhaltensforschung in Verbindung mit Lernen und Fehlern.
Aber ich war Biologe. Ein Genetiker.
Genauso wie die Verhaltensforscher wussten dass die Unterschiede durch Konditionierung über die Jahrtausende hervorgerufen wurden, sah ich den Unterschied in den Gensträngen, der mir ins Auge stach.
Genstränge bestanden aus Bausteinen und die konnte man auseinander nehmen und wieder zusammen setzen.
Die Unterschiede waren minimal, aber sie waren da.
Wir haben sie Cletesias getauft.
Mittlerweile waren sie einen halben Meter groß und einen Meter lang.
Womit wir nicht gerechnet hatten war der Fellwuchs, der die Tiere wie einen wandelnden Wischmopp aussehen ließ.
Von den ewig nachwachsenden Zähnen ganz zu schweigen.
Wir hatten fünf Versuchsgruppen, die wir inoffiziell Herden nannten, mit unterschiedlichem Aggressionspotential.
Ein nicht zu unterschätzendes Problem war die hohe Fruchtbarkeit der Tiere. Gleichzeitig war es auch eine sehr willkommene Ressource, denn so konnten wir immer wieder Versuchstiere sezieren und Material extrahieren um den Fortschritt unserer Arbeit zu untersuchen.
Wie wir genau auf den Namen kamen weiß ich nicht mehr.
In einer langen und sinnlosen Nacht kamen wir darauf, dass wir die Tradition eine neue Spezies nach dem jeweiligen Entdecker oder dem Ort wo sie entdeckt wurden zu benennen einfach nicht leiden konnten.
Unter dem Einfluss von schlechtem Wein warfen wir Ideen in den Raum und erinnerten uns am nächsten Tag nur noch an Cletesias.
Also blieben wir dabei.
Wir waren auf einem Außenposten auf dem Mars. Da muss man sich die Zeit vertreiben.
Draußen tobten die Winde.
Natürlich konnte man jederzeit raus um eine Zigarette zu rauchen, aber durch die gegebenen Windverhältnisse rauchte man schneller als man eigentlich wollte.
Veles hielt das alles für eine schlechte Idee. Er konnte das ganze Projekt nicht leiden. Warum er hinzugezogen wurde wusste niemand, noch nicht einmal er selber.
Anstatt sich die ganze Zeit zu beschweren nahm er die ganze Situation mit Humor und machte Anspielung darauf, dass er keine Nacktfotos von der Tochter seines Chefs hätte machen sollen.
Als verantwortlicher Tierpsychologe beobachtete er unsere Arbeit distanziert und kritisch.
Es wurde irgendwann klar warum er hier war.
Veles war ein Fachmann für alle Arten und Unterarten von Nagetieren.
Mäuse, Meerschweinchen, Hasen, Hörnchen und auch Hamster, die Grundlage unserer Züchtungen waren.
Er kannte unsere Ziele, die er nicht mochte. Trotzdem gab er seine fachlichen Einschätzungen ab.
Seinen Unmut gab er damit Ausdruck, dass er Anekdoten erzählte wie Hamster dazu in der Lage waren größere Tiere wie Meerschweinchen ohne weitere Probleme anzugreifen oder wie weit und hoch sie in ihrer ursprünglichen Größe springen konnten oder wie sie sich gegenseitig töteten wenn der Platz nicht ausreichte. Sehr gerne verwies er auch auf die Ausdauer dieser Tiere wenn es um Verletzungen ging.
Er beendete seine Erzählungen immer mit der Aufforderung, dass man sich doch bitte vorstellen sollte wozu sie in ihrer jetzigen Größe in der Lage waren.
Drei Wochen nachdem ich gebissen wurde rief er mich zu sich um mir einen Vorfall zu melden.
In seinem Büro, dessen Wände voller Masken und Waffen, wie Speere und Armbrüste hingen empfing er mich ungewohnt formal und bot darum mich zu setzen.
Er kam von hier und entsprach nur zu gut dem Klischee der Marsianer, die sich für alle möglichen mittelalterlichen Sachen interessierte.
Mit matter Stimme schilderte Veles mir wie eine Herde die andere, anscheinend verfeindete, umzingelt und systematisch dezimiert hatte. Die überlebenden Welpen wurden von Weibchen des siegreichen Rudels aufgenommen und aufgezogen.
Fast gezwungen beiläufig wies er darauf hin, dass dies ein untypisches Verhalten für diese Art von Spezies war. Ursprünglich waren sie eher Einzelgänger und organisierten sich nicht in Herden, geschweige denn, dass sie für die Nachkommen anderer sorgten.
Sein Gegenbeispiel waren hier Wölfe, wo die Wölfin bei einem Partnerwechsel, die bereits vorhandenen Nachkommen ihrer Vorgängerin tötete.
Ich weiß nicht warum mir mulmig war als ich sein Quartier verließ.
Wir hatten doch mehr erreicht als wir erhofften.
Der Ausbruch geschah ungefähr zehn Tage später.
Ich war gerade dabei zusammen mit Orland, einem meiner untergestellten Genetiker, die aktuellen Daten durchzusprechen. Belangloses Zeug. Es ging um die Zahnlänge und was wir den Tieren in di Käfige packen konnten, damit sie sich selber die Beißer ab wetzten.
Jeder von uns hatte seine frische Tasse Kaffee vor sich zu stehen.
Statistiken flogen dreidimensional vor unseren Augen.
Dann waren sie weg.
Wir gaben alle möglichen Codes ein, aber die Technik gehorchte uns nicht.
Dann erklang ein Signal das mir durch Mark und Bein ging.
Es war der Alarm der Käfige.
Das Licht fiel aus.
Die Notbeleuchtung sprang an.
Meine Knie wurden weich. In meinem Magen ballte sich die nackte Angst.
Durch die verschlossene Tür konnten wir Schreie hören. Panisch geschriene Anweisungen und Hilferufe. Dazwischen immer wieder Schmerzensschreie. Und Gebete.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis wir auch das leisere Klacken der Krallen auf den Fluren durch die Wände hörten.
Dazu kam das kurze charakteristische Quieken der Kreaturen. Mal kurze Abstände, dann wieder länger.
Den Gedanken, dass diese Töne eine wahrhaftige Sprache sein konnten unterdrückte ich mühsam.
Selbst im undeutlichen Rot der Notbeleuchtung konnte ich erkennen wie käseweiß Orland im Gesicht war.
Versteinert lauschten wir dem Grauen hinter der Tür.
Still und heimlich war ich dankbar für meine kleine Neurose immer die Tür hinter mir zu schließen.
Es war ein Tick den ich seit meiner Kindheit hatte.
Ich fühlte mich schlicht ruhiger wenn die Tür zu war, konnte mich besser konzentrieren.
Diese kleine Eigenheit hatte mir an dem Tag das Leben gerettet.
Orland war der erste der sich als erster aus seiner Erstarrung löste. Vorsichtig bewegte er sich auf mich zu und flüsterte mir zitternd zu, dass wir zur Shuttlerampe gelangen mussten um noch lebend heraus zu kommen.
Mehr als zustimmen konnte ich nicht. Zu etwas anderem war ich nicht in der Lage.
Wir warteten ab bis auf den Fluren Stille herrschte.
Die Abwesenheit von Geräuschen war ohrenbetäubend.
Wie ein Echo hallte der vor kurzem gehörte Horror in meinen Ohren nach.
Manuell hatten wir beide die Tür zu öffnen.
Es war nicht schwer. Die Notsicherung war zu lösen. Dann ließ sich die Tür butterweich öffnen.
Jeder der einmal in einem Zug gefahren war kannte die Verfahrensweise.
Orland musste trotzdem jeden einzelnen Schritt erklären.
Zum ersten Mal seit langem bemerkte ich kalten Schweiß auf meiner Haut.
Im Licht des Notstroms wanderten die Schatten an den Wänden auf ihren eigenen Wegen.
Wo was wie war konnten wir zuerst nur schwer erkennen.
Wenn hier auch nur ein Monster lauerte waren wir ein willkommenes Fressen.
Vor unseren Augen bot sich das Bild von einem Massaker.
Dunkle Schleifspuren zogen sich auf dem Boden entlang. Dunkelrot.
Ich spürte ein Zittern in mir, doch meine Hände und Lippen blieben ruhig.
Knochen und Fleischfetzen lagen an den Schleifspuren entlang in einem beunruhigend passenden Muster. Dazu Fetzen von Uniformen. Uniformen von Technikern.
War das Leisscher gewesen?
Ich hatte Leisscher immer gemocht. Wir haben manchmal Karten gespielt wenn nichts anderes los war.
Oder war es Stazung?
Der Typ den keiner leiden konnte?
Wer wurde auf dem Korridor verteilt?
Zusammen gingen wir den Korridor zur Rampe entlang.
Panisch wurde mir bewusst, dass wir unbewaffnet waren.
Wir waren zwei Akademiker die einen dunklen Flur entlang tappten ohne zu wissen von wo die Monster kommen konnten.
Bilder an die ich nicht denken wollte schlichen sich in meinem Hinterkopf an.
Wie sah es aus wenn ein Cletesias einen Kopf in den Mund nahm und dann zubiss?
Bevor das Licht ausging hatten wir uns über die Länge der Krallen unterhalten. Vor mir waren klare Blutspuren. Aufgerichtet waren die Tiere etwas kleiner als ich.
Wie würden sie mit erhobenen Klauen aussehen?
Veles kam mir in den Sinn mit einer seiner verdammten Geschichten.
Er hatte einem Teil seiner Hamster immer einmal in der Woche ein kleines Stück Gehacktes gegeben, weniger als ein Gramm.
Seine Pointe war, dass die mit dem Fleisch länger überlebten und er liebte es darauf hinzuweisen, dass das rohe Fleisch nicht gehamstert sondern gleich verzehrt wurde.
Von weitem hörten wir das Klacken und Scharren der Krallen auf dem Boden. Das Rauschen des Fells das über den Boden strich. Das wiederkehrende Quieken, welches immer wieder vom Fletschen der Zähne unterbrochen wurde.
Am Ende des Flures erreichten wir den verschlossenen Eingang zur Rampe. Klar und deutlich drangen die widerwärtigen Geräusche der Kreaturen durch das Metall.
Sie hatten sich dahinter versammelt. Unser Ausweg war versperrt. Wir waren dazu verdammt hier zu bleiben als Futtervorrat für die Monster.
Dann öffnete sich die Tür.
Zu Salzsäuren erstarrt verfolgten wir die sich zur Seite schiebende Platte..
Warum musste der Bewegungsmelder jetzt funktionieren?
Konnten die Generatoren mit der Erholung nicht noch ein wenig warten?
Ein braun rotes Meer aus Fell entfaltete sich vor uns.
Ohne sich stören zu lassen wuselten die riesigen Fellbälle hin und her.
In ihren Haaren waren noch getrocknetes Blut und Fleischreste zu erkennen.
Anscheinend waren sie gerade alle satt und zufrieden.
Tränen der Verzweiflung füllten meine Augen.
Irgendwann würden sie wieder hungrig sein.
Dann würden wir sterben.
Das war das Ende.
Ich würde dafür bezahlen weil ich wissen wollte was der Unterschied zwischen Hasen und Kaninchen war.
Neugier ist der Katze Tod.
Trotzig unterdrückte ich die Tränen
Ein Surren ließ mich aufhorchen.
Das Surren einer Tür.
Veles erschien zusammen mit anderen Überlebenden am gegenüberliegenden Tor. Es waren um die zwanzig.
Jeder hatte zwei Fackeln in der Hand und selbst gebastelte Helme auf den Köpfen Sie waren Vogelscheuchen für die Cletisias.
Sie mussten es gewesen sein die den Strom für die Türen wieder zum Laufen gebracht hatten.
Majestätisch erhob er seinen Kopf und blickte mich an.
Er hatte sich bemalt.
Ich konnte ein paar seiner Masken bei seinen Gefährten erkennen.
Aber er hatte sich bemalt.
Im Gesicht.
Und er schaute mich an.
Kontrolliert reichte er die Fackel von seiner rechten in die linke Hand und gab mit der nun freien Hand einen Code in die Tastatur neben der Tür ein.
Vor uns erschien ein Kraftfeld.
Ohne Hast gab der gehörnte Psychologe noch einen Code ein. Die Cletesias hatten ihn und seine Kumpane nicht zur Kenntnis genommen.
Mit einem tiefen Summen öffnete sich das Haupttor der Rampe.
Die peitschenden Winde des Mars fluteten die Halle.
Dann jaulte Veles auf und schwang seine Fackeln.
Seine Kameraden taten es ihm gleich. Sie stoben auseinander, machten Lärm und versengten den Monstern das Fell.
Ihren Urinstinkten folgend wichen die riesigen Tiere mit Fauchen und irritiertem Quieken zurück.
So etwas war ihnen noch nie begegnet. Gehörnte Menschen hatten sie nie gesehen und mit Feuer hatten wir sie nie konfrontiert.
Mit Schreien und Brüllen trieben sie die Tiere hinaus in die Steppe.
Als ich beobachtete wie die Tiere in der Ferne mit der Steppe verschmolzen kroch mir ein eiskaltes Kribbeln den Rücken herunter.
Diese Tiere waren mehr als fruchtbar und würden sich in kürzester Zeit verbreitet und etabliert haben und sie fielen auch Menschen an um Essen zu bekommen.
Veles kam zu uns um das Kraftfeld zu deaktivieren.
In seinem bemalten Gesicht konnte ich sehen, dass er dasselbe dachte wie ich.
Wir hatten nicht nur unseren Vorgesetzten Meldung zu erstatten, sondern auch der planetaren Obrigkeit.
Immerhin hatte der Mars jetzt eine neue Spezies.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...

Beliebte Posts