Ich
wurde gebissen. Was für ein Erfolg. Ich wurde gebissen.
Während
mir der Arzt die Wunde desinfiziert und mir einen Verband verpasst
überschlagen sich meine Gedanken.
Dies
war ein klares Zeichen dafür, dass unsere Forschungen auf dem
richtigen Weg waren.
Nach
knapp fünf Jahren waren wir unserem Ziel, der Ursache von
Aggressionen zu isolieren noch ein Stück näher gekommen. Von hier
waren es nur noch wenige Schritte bis wir den genetischen Prozess
soweit beeinflussen konnten, dass wir Tiere züchten konnten, die
das Militär dann als Bodentruppen einsetzen konnten.
Die
Grundidee war älter als wir alle, aber es sollte noch einmal
versucht werden.
Wer
die Idee dafür hatte weiß keiner mehr. Mir und den Kollegen war es
auch egal.
Hauptsache
die Gelder flossen und wir durften uns auf unserem Gebiet austoben.
Vielleicht
hoffte irgendjemand irgendwo die Venus wieder unter die Herrschaft
der Erde zu bekommen.
Der
Krieg lag in den letzten Zügen und da wurden einige vielleicht
verzweifelt was die möglichen Optionen anging.
Uns
war es egal, wir durften spielen.
Mich
hatten die Unterschiede zwischen wilden Tieren und ihren
domestizierten Artgenossen schon immer interessiert.
Warum
war ein Hund zutraulich, während ein Wolf Abstand nahm?
Wieso
konnte man Kaninchen züchten, Hasen aber nicht?
Weshalb
kommt die Brieftaube zurück, während ihr Cousin von der Straße
einem das Auto ruiniert?
Natürlich
gab es dafür evolutionäre Gründe. Erklärungen aus der
Verhaltensforschung in Verbindung mit Lernen und Fehlern.
Aber
ich war Biologe. Ein Genetiker.
Genauso
wie die Verhaltensforscher wussten dass die Unterschiede durch
Konditionierung über die Jahrtausende hervorgerufen wurden, sah ich
den Unterschied in den Gensträngen, der mir ins Auge stach.
Genstränge
bestanden aus Bausteinen und die konnte man auseinander nehmen und
wieder zusammen setzen.
Die
Unterschiede waren minimal, aber sie waren da.
Wir
haben sie Cletesias getauft.
Mittlerweile
waren sie einen halben Meter groß und einen Meter lang.
Womit
wir nicht gerechnet hatten war der Fellwuchs, der die Tiere wie einen
wandelnden Wischmopp aussehen ließ.
Von
den ewig nachwachsenden Zähnen ganz zu schweigen.
Wir
hatten fünf Versuchsgruppen, die wir inoffiziell Herden nannten, mit
unterschiedlichem Aggressionspotential.
Ein
nicht zu unterschätzendes Problem war die hohe Fruchtbarkeit der
Tiere. Gleichzeitig war es auch eine sehr willkommene Ressource, denn
so konnten wir immer wieder Versuchstiere sezieren und Material
extrahieren um den Fortschritt unserer Arbeit zu untersuchen.
Wie
wir genau auf den Namen kamen weiß ich nicht mehr.
In
einer langen und sinnlosen Nacht kamen wir darauf, dass wir die
Tradition eine neue Spezies nach dem jeweiligen Entdecker oder dem
Ort wo sie entdeckt wurden zu benennen einfach nicht leiden konnten.
Unter
dem Einfluss von schlechtem Wein warfen wir Ideen in den Raum und
erinnerten uns am nächsten Tag nur noch an Cletesias.
Also
blieben wir dabei.
Wir
waren auf einem Außenposten auf dem Mars. Da muss man sich die Zeit
vertreiben.
Draußen
tobten die Winde.
Natürlich
konnte man jederzeit raus um eine Zigarette zu rauchen, aber durch
die gegebenen Windverhältnisse rauchte man schneller als man
eigentlich wollte.
Veles
hielt das alles für eine schlechte Idee. Er konnte das ganze Projekt
nicht leiden. Warum er hinzugezogen wurde wusste niemand, noch nicht
einmal er selber.
Anstatt
sich die ganze Zeit zu beschweren nahm er die ganze Situation mit
Humor und machte Anspielung darauf, dass er keine Nacktfotos von der
Tochter seines Chefs hätte machen sollen.
Als
verantwortlicher Tierpsychologe beobachtete er unsere Arbeit
distanziert und kritisch.
Es
wurde irgendwann klar warum er hier war.
Veles
war ein Fachmann für alle Arten und Unterarten von Nagetieren.
Mäuse,
Meerschweinchen, Hasen, Hörnchen und auch Hamster, die Grundlage
unserer Züchtungen waren.
Er
kannte unsere Ziele, die er nicht mochte. Trotzdem gab er seine
fachlichen Einschätzungen ab.
Seinen
Unmut gab er damit Ausdruck, dass er Anekdoten erzählte wie Hamster
dazu in der Lage waren größere Tiere wie Meerschweinchen ohne
weitere Probleme anzugreifen oder wie weit und hoch sie in ihrer
ursprünglichen Größe springen konnten oder wie sie sich
gegenseitig töteten wenn der Platz nicht ausreichte. Sehr gerne
verwies er auch auf die Ausdauer dieser Tiere wenn es um Verletzungen
ging.
Er
beendete seine Erzählungen immer mit der Aufforderung, dass man sich
doch bitte vorstellen sollte wozu sie in ihrer jetzigen Größe in
der Lage waren.
Drei
Wochen nachdem ich gebissen wurde rief er mich zu sich um mir einen
Vorfall zu melden.
In
seinem Büro, dessen Wände voller Masken und Waffen, wie Speere und
Armbrüste hingen empfing er mich ungewohnt formal und bot darum mich
zu setzen.
Er
kam von hier und entsprach nur zu gut dem Klischee der Marsianer, die
sich für alle möglichen mittelalterlichen Sachen interessierte.
Mit
matter Stimme schilderte Veles mir wie eine Herde die andere,
anscheinend verfeindete, umzingelt und systematisch dezimiert hatte.
Die überlebenden Welpen wurden von Weibchen des siegreichen Rudels
aufgenommen und aufgezogen.
Fast
gezwungen beiläufig wies er darauf hin, dass dies ein untypisches
Verhalten für diese Art von Spezies war. Ursprünglich waren sie
eher Einzelgänger und organisierten sich nicht in Herden, geschweige
denn, dass sie für die Nachkommen anderer sorgten.
Sein
Gegenbeispiel waren hier Wölfe, wo die Wölfin bei einem
Partnerwechsel, die bereits vorhandenen Nachkommen ihrer Vorgängerin
tötete.
Ich
weiß nicht warum mir mulmig war als ich sein Quartier verließ.
Wir
hatten doch mehr erreicht als wir erhofften.
Der
Ausbruch geschah ungefähr zehn Tage später.
Ich
war gerade dabei zusammen mit Orland, einem meiner untergestellten
Genetiker, die aktuellen Daten durchzusprechen. Belangloses Zeug. Es
ging um die Zahnlänge und was wir den Tieren in di Käfige packen
konnten, damit sie sich selber die Beißer ab wetzten.
Jeder
von uns hatte seine frische Tasse Kaffee vor sich zu stehen.
Statistiken
flogen dreidimensional vor unseren Augen.
Dann
waren sie weg.
Wir
gaben alle möglichen Codes ein, aber die Technik gehorchte uns
nicht.
Dann
erklang ein Signal das mir durch Mark und Bein ging.
Es
war der Alarm der Käfige.
Das
Licht fiel aus.
Die
Notbeleuchtung sprang an.
Meine
Knie wurden weich. In meinem Magen ballte sich die nackte Angst.
Durch
die verschlossene Tür konnten wir Schreie hören. Panisch geschriene
Anweisungen und Hilferufe. Dazwischen immer wieder Schmerzensschreie.
Und Gebete.
Es
dauerte nur wenige Minuten, bis wir auch das leisere Klacken der
Krallen auf den Fluren durch die Wände hörten.
Dazu
kam das kurze charakteristische Quieken der Kreaturen. Mal kurze
Abstände, dann wieder länger.
Den
Gedanken, dass diese Töne eine wahrhaftige Sprache sein konnten
unterdrückte ich mühsam.
Selbst
im undeutlichen Rot der Notbeleuchtung konnte ich erkennen wie
käseweiß Orland im Gesicht war.
Versteinert
lauschten wir dem Grauen hinter der Tür.
Still
und heimlich war ich dankbar für meine kleine Neurose immer die Tür
hinter mir zu schließen.
Es
war ein Tick den ich seit meiner Kindheit hatte.
Ich
fühlte mich schlicht ruhiger wenn die Tür zu war, konnte mich
besser konzentrieren.
Diese
kleine Eigenheit hatte mir an dem Tag das Leben gerettet.
Orland
war der erste der sich als erster aus seiner Erstarrung löste.
Vorsichtig bewegte er sich auf mich zu und flüsterte mir zitternd
zu, dass wir zur Shuttlerampe gelangen mussten um noch lebend heraus
zu kommen.
Mehr
als zustimmen konnte ich nicht. Zu etwas anderem war ich nicht in der
Lage.
Wir
warteten ab bis auf den Fluren Stille herrschte.
Die
Abwesenheit von Geräuschen war ohrenbetäubend.
Wie
ein Echo hallte der vor kurzem gehörte Horror in meinen Ohren nach.
Manuell
hatten wir beide die Tür zu öffnen.
Es
war nicht schwer. Die Notsicherung war zu lösen. Dann ließ sich
die Tür butterweich öffnen.
Jeder
der einmal in einem Zug gefahren war kannte die Verfahrensweise.
Orland
musste trotzdem jeden einzelnen Schritt erklären.
Zum
ersten Mal seit langem bemerkte ich kalten Schweiß auf meiner Haut.
Im
Licht des Notstroms wanderten die Schatten an den Wänden auf ihren
eigenen Wegen.
Wo
was wie war konnten wir zuerst nur schwer erkennen.
Wenn
hier auch nur ein Monster lauerte waren wir ein willkommenes Fressen.
Vor
unseren Augen bot sich das Bild von einem Massaker.
Dunkle
Schleifspuren zogen sich auf dem Boden entlang. Dunkelrot.
Ich
spürte ein Zittern in mir, doch meine Hände und Lippen blieben
ruhig.
Knochen
und Fleischfetzen lagen an den Schleifspuren entlang in einem
beunruhigend passenden Muster. Dazu Fetzen von Uniformen. Uniformen
von Technikern.
War
das Leisscher gewesen?
Ich
hatte Leisscher immer gemocht. Wir haben manchmal Karten gespielt
wenn nichts anderes los war.
Oder
war es Stazung?
Der
Typ den keiner leiden konnte?
Wer
wurde auf dem Korridor verteilt?
Zusammen
gingen wir den Korridor zur Rampe entlang.
Panisch
wurde mir bewusst, dass wir unbewaffnet waren.
Wir
waren zwei Akademiker die einen dunklen Flur entlang tappten ohne zu
wissen von wo die Monster kommen konnten.
Bilder
an die ich nicht denken wollte schlichen sich in meinem Hinterkopf
an.
Wie
sah es aus wenn ein Cletesias einen Kopf in den Mund nahm und dann
zubiss?
Bevor
das Licht ausging hatten wir uns über die Länge der Krallen
unterhalten. Vor mir waren klare Blutspuren. Aufgerichtet waren die
Tiere etwas kleiner als ich.
Wie
würden sie mit erhobenen Klauen aussehen?
Veles
kam mir in den Sinn mit einer seiner verdammten Geschichten.
Er
hatte einem Teil seiner Hamster immer einmal in der Woche ein kleines
Stück Gehacktes gegeben, weniger als ein Gramm.
Seine
Pointe war, dass die mit dem Fleisch länger überlebten und er
liebte es darauf hinzuweisen, dass das rohe Fleisch nicht gehamstert
sondern gleich verzehrt wurde.
Von
weitem hörten wir das Klacken und Scharren der Krallen auf dem
Boden. Das Rauschen des Fells das über den Boden strich. Das
wiederkehrende Quieken, welches immer wieder vom Fletschen der Zähne
unterbrochen wurde.
Am
Ende des Flures erreichten wir den verschlossenen Eingang zur Rampe.
Klar und deutlich drangen die widerwärtigen Geräusche der
Kreaturen durch das Metall.
Sie
hatten sich dahinter versammelt. Unser Ausweg war versperrt. Wir
waren dazu verdammt hier zu bleiben als Futtervorrat für die
Monster.
Dann
öffnete sich die Tür.
Zu
Salzsäuren erstarrt verfolgten wir die sich zur Seite schiebende
Platte..
Warum
musste der Bewegungsmelder jetzt funktionieren?
Konnten
die Generatoren mit der Erholung nicht noch ein wenig warten?
Ein
braun rotes Meer aus Fell entfaltete sich vor uns.
Ohne
sich stören zu lassen wuselten die riesigen Fellbälle hin und her.
In
ihren Haaren waren noch getrocknetes Blut und Fleischreste zu
erkennen.
Anscheinend
waren sie gerade alle satt und zufrieden.
Tränen
der Verzweiflung füllten meine Augen.
Irgendwann
würden sie wieder hungrig sein.
Dann
würden wir sterben.
Das
war das Ende.
Ich
würde dafür bezahlen weil ich wissen wollte was der Unterschied
zwischen Hasen und Kaninchen war.
Neugier
ist der Katze Tod.
Trotzig
unterdrückte ich die Tränen
Ein
Surren ließ mich aufhorchen.
Das
Surren einer Tür.
Veles
erschien zusammen mit anderen Überlebenden am gegenüberliegenden
Tor. Es waren um die zwanzig.
Jeder
hatte zwei Fackeln in der Hand und selbst gebastelte Helme auf den
Köpfen Sie waren Vogelscheuchen für die Cletisias.
Sie
mussten es gewesen sein die den Strom für die Türen wieder zum
Laufen gebracht hatten.
Majestätisch
erhob er seinen Kopf und blickte mich an.
Er
hatte sich bemalt.
Ich
konnte ein paar seiner Masken bei seinen Gefährten erkennen.
Aber
er hatte sich bemalt.
Im
Gesicht.
Und
er schaute mich an.
Kontrolliert
reichte er die Fackel von seiner rechten in die linke Hand und gab
mit der nun freien Hand einen Code in die Tastatur neben der Tür
ein.
Vor
uns erschien ein Kraftfeld.
Ohne
Hast gab der gehörnte Psychologe noch einen Code ein. Die Cletesias
hatten ihn und seine Kumpane nicht zur Kenntnis genommen.
Mit
einem tiefen Summen öffnete sich das Haupttor der Rampe.
Die
peitschenden Winde des Mars fluteten die Halle.
Dann
jaulte Veles auf und schwang seine Fackeln.
Seine
Kameraden taten es ihm gleich. Sie stoben auseinander, machten Lärm
und versengten den Monstern das Fell.
Ihren
Urinstinkten folgend wichen die riesigen Tiere mit Fauchen und
irritiertem Quieken zurück.
So
etwas war ihnen noch nie begegnet. Gehörnte Menschen hatten sie nie
gesehen und mit Feuer hatten wir sie nie konfrontiert.
Mit
Schreien und Brüllen trieben sie die Tiere hinaus in die Steppe.
Als
ich beobachtete wie die Tiere in der Ferne mit der Steppe
verschmolzen kroch mir ein eiskaltes Kribbeln den Rücken herunter.
Diese
Tiere waren mehr als fruchtbar und würden sich in kürzester Zeit
verbreitet und etabliert haben und sie fielen auch Menschen an um
Essen zu bekommen.
Veles
kam zu uns um das Kraftfeld zu deaktivieren.
In
seinem bemalten Gesicht konnte ich sehen, dass er dasselbe dachte
wie ich.
Wir
hatten nicht nur unseren Vorgesetzten Meldung zu erstatten, sondern
auch der planetaren Obrigkeit.
Immerhin
hatte der Mars jetzt eine neue Spezies.
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