Donnerstag, 29. Oktober 2015

Aufbauarbeiten


Fallen ist keine Schande, liegenbleiben schon.

Insgesamt bin ich fünf Wochen im Krankenhaus.
Drei Wochen sationär, zwei Wochen teilstationär.
Wenn meine Symptome schlimmer werden, kann ich mich in einer Tagesklinik vorstellen, unter der Voraussetzung, dass ich nüchtern bzw. abstinent bleibe.
Nach der letzten Visite wird in meinem Arztbrief erwähnt, dass ich bezüglich, meiner Abstinenz selbst überschätzend erscheine.
Die Tage zuvor habe ich jeweils um die 2000 Wörter geschrieben, teilweise sogar noch mehr.
Es ist als ob mein Hirn auftaut.
Die Wirkung des Antidepressivum ist langsam und kontinuierlich.
Wie eine wärmende Lampe scheint es die Verkrampfung in meinem Hirn ab zu schmelzen und die Kapazitäten, die darin schlummern frei zu legen.
Schreiben hatte für mich immer schon eine besondere Wirkung.
Ich habe einen großen Kopf und da passt eine Menge rein, aber diese Menge will auch frei sein und zu Papier gebracht werden.
Dass ich kontinuierlich an kreativen Texten arbeiten kann ohne mich vor irgendeinem imaginären Richtspruch zu fürchten ist eine unglaubliche Befreiung.
Man könnte auch sagen, dass ich durch diese Befreiung high werde.
Wenn du dich mit deinen eigenen Welten beschäftigst und die von dir erschaffenen Figuren aufstellst und gewisse Logikmuster im Text einfängst hat das etwas wahnhaftes.
Nicht umsonst behaupte ich gerne von mir, dass ich keine Drogen brauche, sondern stoned by nature bin.
Vollkommen perplex stelle ich fest, dass ich im Fluss bin und Aufgaben die vor drei Monaten noch unmöglich schienen mit einer Leichtigkeit zu erledigen sind.
Dass mir das von Ärzten als Selbstüberschätzung ausgelegt wird, schlägt in die logische Kerbe, die mit „Darf sich nicht über eigene Erfolge freuen“ beschriftet ist.
Dadurch, dass ich mich nicht auf diese logische Kombination einlasse, sondern mich lieber auf meine kleinen Erfolge konzentriere, merke ich dass es mit mir beständig aufwärts geht.
Dazu bilden meine Gedankenblasen immer wieder neue Ausläufer, die ich problemlos verfolgen kann.
Ich habe auch kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich mich schick mache und mich um mich selber kümmere.
An Gitarre und Verse ist im Moment noch nicht zu denken, aber alles braucht seine Zeit.
Immer wieder schleicht sich ein schlechtes Gewissen wegen Kleinigkeiten im Hinterkopf an, aber ich schaffe es immer wieder es abzuschütteln, wenn das bedeutet, dass ich dadurch vielleicht einen Tick entwickle, dann nehme ich das in Kauf. So merke ich zum Beispiel, dass ich mich verstärkt räuspere, wenn ich unliebsame Gedanken an die Vergangenheit niederkämpfe.
Noch bevor ich mich um die erneute Krankschreibung für meine Arbeit kümmere oder andere ärztliche Versorgungen organisiere, schreibe ich eine Bewerbung für meinen Arbeitgeber, damit ich auf eine andere Stelle versetzt werde.
Man kann an seinem Handeln erkennen, was einem wichtig ist.
So habe ich bei mir im Flur ein Küchenbuffet, dass ich genüsslich langsam gestalte, während ich im Wohnzimmer die Texte in die Tasten haue.
Genauso wie ein Stein eine Skulptur in sich trägt die frei gesetzt werden will, will ein Möbelstück auf eine ganz bestimmte Weise dekoriert werden.
Was meine Abstinenz angeht, so weigere ich mich schlicht groß irgendetwas zu schwören, da meine Erfahrung mit allerlei Menschen immer wieder gezeigt hat, dass jene die am schnellsten schwören, am schnellsten ihre Fehler wiederholen.
So spüre ich zum Beispiel endlich wieder seit langer Zeit Zuversicht.
Der Satz „Ich werde das schaffen“ macht sich wohlig warm in meinem Kopf breit und das liegt an den Medikamenten.
Ich darf nicht vergessen, dass dieser Zustand an den Medikamenten liegt, denn sonst interpretiere ich diese neue Zuversicht neu und komme möglicherweise auf die dumme Idee sie abzusetzen und reiße mir alles wieder ein.
Der Weg nach vorn sollte immer mit den Erfahrungen geplant werden, die hinter einem liegen.

Ansonsten halte ich mich an einen Spruch den ich mir aus einem Comic von Ralf König abgewandelt habe „Heute geht es mir besser als gestern, gestern ging es mir besser als vorgestern, dass heißt für morgen und übermorgen sieht es doch gar nicht mal so schlecht aus.“.

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