Donnerstag, 8. Oktober 2015

Das ist nicht lustig und darüber macht man Witze

 
Die klügsten Fische treibt der Hunger an die Angel.
Johann Wolfgang von Goethe

Insgesamt verbringe ich drei Wochen stationär im Krankenhaus. Eine normale Entgiftung dauert maximal 7 bis 10 Tage. Meine Entgiftung ist nach einem Tag abgeschlossen.
Um das eigentliche Problem anzugehen verstecke ich mich hinter meiner Mutter, die mit einen gepfefferten Brief durchsetzt, dass ich länger bleibe.
Nach etwas mehr als zwei Wochen kann ich erst wieder mit fremden Menschen reden und das auch erst, nachdem meine Medikation herauf gestuft wurde, um eine antidepressive Wirkung zu erwirken.
Nach knapp dreieinhalb Wochen kann ich endlich wieder damit anfangen ein Buch zu lesen.
Es ist das zweite in diesem Jahr.
Dazu muss man wissen, dass ich seitdem ich lesen kann, alles lese was mir unter die Nase kommt.
Ich bin das was man einen Faktenfresser nennt.
Und je abstruser die Fakten oder die Geschichten, desto besser.
Nicht zu lesen oder gar zu schreiben zu können ist für mich eine Qual, erst recht, da ich über einen recht beweglichen Kopf verfüge in dem sich allerlei Gestalten tummeln.
Um diesen Notstand abzuschwächen lulle ich mich mit Hörbüchern in den Schlaf.
Es ist ein minimaler Ersatz für das, was mein Hirn eigentlich will, aber es hilft.

Auf der Beratungsstelle für Suchterkrankungen werde ich nach vier Wochen gefragt, ob ich zwischen mir und den anderen irgendwelche Parallelen erkennen kann.
Nein, kann ich nicht. Ich fühle mich wie auf Arbeit und habe immer wieder den Eindruck, als ob ich es mit den Eltern meiner Klienten oder mit meinen Klienten plus 20 bis 30 Jahre zu tun habe.
Ich erkenne jedoch, dass ein Politox- Patient von anderen Patienten geschnitten, ignoriert, zurecht gewiesen und hinter seinem Rücken gelästert wird.
Mit anderen Worten, er wird gemobbt.
Irgendwann entlässt sich der gemobbte Politox- Patient von selbst und der andere Politox- Patient, der ihn immer wortreich für seinen Wortreichtum kritisiert hat, teilt seine Erleichterung über diese Entwicklung wortreich mit.

Als ich im betreuten Jugendwohnen gearbeitet habe, fiel mir auf, dass sich all die Jugendlichen schon untereinander aus anderen Kriseneinrichtungen kannten.
So ähnlich ist es auch hier.
Die anderen Patienten tauschen sich gegenseitig Geschichten ihrer vielen Aufenthalte aus und trinken bis zum abendlichen Skatspiel Kaffee und wundern sich dann darüber, dass sie nicht einschlafen können.
Ich sitze versnobt in meiner Ecke und tue mich an meiner Melone gütlich.
Ich habe keine Lust mich mit den anderen unnötig zu unterhalten und ich habe auch keine Ahnung worüber.
Das ist keine Arroganz, jeder hat hier seine Macke und jeder hier wurde vom Leben gefickt.
Und ganz so drüber stehe ich auch nicht, schließlich habe ich auch versucht mir meine Depression schön zu saufen.
Auf einer Veranstaltung fällt der passende Satz: „Nur weil ich ein Spritti bin, bin ich kein schlechter Mensch.“
Man könnte auch sagen: Nur weil ich eine Macke habe, bin ich nicht blöd.

Am Ende meiner drei stationären Wochen sind insgesamt fünf Patienten wieder eingewiesen worden, die nach der Entgiftung entlassen wurden.
Eine Patientin macht das genau drei mal in drei Wochen durch.
Für mich und meine Krankheit ist das eine kleine Bestätigung, dass wenn man sich in Drogen flüchtet, nochmal vielleicht etwas anderes dahinter steckt.
Was genau das bei jedem einzelnen ist, ermaß ich mir nicht an zu vermuten.
Unter anderem weil ich hier nicht auf Arbeit bin und ich mich hier um mich selber zu kümmern habe.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...

Beliebte Posts