Also entschloss ich mich für zehn
Jahre.
Dies berechtigte mich automatisch zum
Studium an einer Militärakademie.
Dank dieser Laufbahn durfte ich mich
Major der Infanterie schimpfen.
Aufgrund dieser Laufbahn, dieser
Erfahrung und diesem Titel konnte ich auch ohne Probleme mein
Vorhaben umsetzen.
Es wurde noch nicht mal besonders
nachgefragt wie dieses Projekt der vereinigten Russischen Föderation
helfen konnte.
Sobald man Physik studierte erwarteten
die Leute anscheinend, dass man auf bestimmte Ideen kam.
Nur solche Leute kommen auf die Idee
einer Zeitmaschine.
Ich war noch nicht einmal der erste,
der mit dieser Idee ankam.
Nur funktionierte es unter meiner
Leitung endlich.
Und so sprang ich in das Gestern.
Mit einem Gefreiten, der für gute
Verdienste mit diesem Ausflug belohnt und einen einflussreichen Vater
hatte.
Wir landeten im Jahr 50 vor Rasputin im
mittleren Europa.
Der Junge wollte unbedingt einen großen
Dichter treffen.
Ich hatte ihn im Auge zu behalten,
damit er keine Dummheiten machte.
Also studierte ich den Genickbruch für
später an ihm schon einmal ein.
Selbst einem Major mit ausgezeichneter
Führung hätte man keinen Sprung in die Lebensspanne eines Rasputin
erlaubt.
Also musste man warten bis sich die
richtige Möglichkeit ergab.
Wir sprechen russisch, wir essen
russisch, wir sollen russisch denken.
Vor 164 Jahren ist Rasputin der Große
gestorben.
Laut der Legende hat sich der Tod an
ihn im Schlaf herangeschlichen und ihn mit einer goldenen Kugel
selber erledigt haben, da Rasputin selbst für ihn zu mächtig war.
Seine Erben wandeln und bedienen sich
in Europa.
Unser Land hieß mal Holland. Wir waren
mal Holländer.
Auch uns hat einmal die Welt gehört.
Das vergisst man nicht.
Urgroßmutter hat Großvater
Geschichten erzählt und Großvater hat Mutter Geschichten erzählt.
Von Mund zu Mund wurden die alten
Geschichten und Wahrheiten weitergegeben.
In Schrift waren sie verboten, aber von
Mund zu Mund überlebten die alten Gedanken.
Und in Gedanken sind wir immer noch
Holländer.
Ich wurde Physiker.
Alle anderen haben sich auch Jura,
Wirtschaft und Medizin gestürzt.
Dann gab es diejenigen die
Gesellschaft, Geist und Kultur studieren wollten.
Mein Vater hätte es gerne gesehen
einen Arzt in der Familie gehabt und Mutter spielte mit dem Gedanken,
dass ich ein großer Künstler werde.
Weder das eine, noch das andere wäre
mir schwer gefallen.
Mir wurde immer nachgesagt, dass ich
eine schnelle Auffassungsgabe habe. Meine einzigen Probleme waren,
dass ich mich oft verzettelte und dass ich immer wieder mit meinem
eigenen Schweinehund zu kämpfen hatte.
Ich wurde Physiker.
Ich hatte mich damit zu beschäftigen
wie weit man Zeit und Raum dehnen konnte.
Ich habe den ersten Apparat mit
gestaltet mit dem man durch Zeit und Raum wandern kann.
Die Russen haben es möglich gemacht.
Die Russen haben mich möglich gemacht
Auf dem Papier bin ich auch ein Russe.
Es gibt hier keinen Platz für
Individualität.
Weder auf staatlicher noch auf privater
Ebene.
Aber so haben die Russen haben möglich
gemacht, dass ein Holländer an einer Maschine arbeitet, die Wege
durch die Raum- Zeit Krümmung schlägt.
Mein erster Sprung ist mein eigener
Sprung.
Jeder durfte eine kleine Erkundung
unternehmen.
Natürlich nur in Begleitung und mit
vorheriger Beschreibung des exakten Ziel.
Der Untergang des römischen Reiches
ist ein beliebtes und amüsantes Ziel.
Jeder hat seine eigenen Behauptungen
darüber wie dieses Imperium zugrunde ging und jede Behauptung
zerfällt bei jeder Erkundung.
Es ist einfach langsam dahin gesiecht.
Der dreißig jährige Krieg ist auch
sehr beliebt.
Und aus irgendeinem Grund wollen viele
nach Persien in das Jahr 3609 vor Rasputin.
Den Grund dafür konnte mir niemand
erklären.
Aber ich konnte auch niemanden mein
Ziel erklären.
Ich wollte nach Russland.
In das Jahr 47 nach Rasputin.
Als Datum entschied ich mich für den
28. Dezember.
Niemand konnte ahnen, dass ich Rasputin
töten wollte.
Ich würde ihm einfach das Genick
brechen.
So wie dem armen Gefreiten.
Diese Idee hatte ich seit Kindertagen.
Vielleicht bildeten die Geschichten
meiner Eltern und Großeltern den Grundstein dafür.
Vielleicht hatte ich auch vor den ewig
gleichen Bildern des großen Rasputin und unseren großen Kommandeur
Abramowitsch die überall zu sehen waren von klein auf Angst, die
irgendwann in kalten kalkulierenden Hass um schlug.
Oder es ist die Art und Weise wie jeder
hier auf grauen Straßen, mit grauen Häusern in grauen Uniformen
sein Leben zu fristen hatte.
Während meiner Militärlaufbahn,
durfte ich ausreichend Erfahrung sammeln, die mich zusätzlich zu
meinem Studium auf mein Vorhaben vorbereitete.
Das Militär hatte dieses Projekt erst
möglich gemacht.
Jeder der studieren wollte, hatte schon
in der zehnten Klasse eine Absichtserklärung abzugeben, dass er der
großen Russischen Föderation mehr als die grundsätzlich
geforderten achtzehn Monate militärisch dienen wollte.
Für ein sicheres Studium seiner Wahl
musste man sich für fünf Jahre verpflichten.
Ich wollte meine Ruhe haben, also
entschloss ich mich für zehn Jahre.
Das führte zu einigen Diskussionen zu
hause.
Bevor ich zu meinen nächsten Sprung
ansetzte verscharrte ich den armen Gefreiten ohne militärische Ehren
im fremden Boden.
Er ist nicht der erste und auch nicht
der letzte Soldat dem dieses Schicksal widerfährt.
Vielleicht würde ich auch so enden.
Um auch wirklich sicher zu sein schaute
ich vor meiner nächsten Etappe auf meine kleine spezielle Uhr.
Eine Absicherung um Nachzuprüfen wie
die Zeitrechnung am gewünschten Zielort lautet und wie die eigene
dazu lautet um Verwirrungen und Fehlsprünge zu vermeiden.
Mein Start war 251 nach Rasputin dem
Großen.
Mit sicherem Schritt bewegte ich mich
auf das Jahr 47 nach der Geburt unseres ach so großen
Staatengründers zu.
Ich landete in Russland in Sankt
Petersburg. Wie gewünscht am 28. Dezember.
Wie gewünscht im Moika Palast in der
Unterkunft von Rasputin des Großen.
Der Gestank der Ära brach sich
stechend in meine Ära.
Es ist interessant was man alles
herausfindet, wenn man nur gründlich ließt und zuhört.
Ich war immer ein vorbildlicher Schüler
gewesen.
Meine Laufbahn beim Militär und an der
Akademie war tadellos.
Wenn ich höflich fragte, gelangte ich
zu den Informationen die ich brauchte.
Natürlich nicht alle auf einmal,
sondern sorgsam verteilt über die Jahre und immer in Verbindung mit
anderen vorgeschobenen Gründen, die augenscheinlich nichts
miteinander zu tun hatten.
Die Vorgesetzten meinten mehr als
einmal, dass mein vorbildlicher Charakter gerade dazu einlud in
Delinquenten kopiert zu werden.
Das würde sicher zu einigen
Überraschungen führen.
Milde überrascht musste ich
feststellen, dass ich mit meiner Idee nicht der einzige war.
Der Anblick des ach so großen Rasputin
von Angesicht zu Angesicht war unglaublich ernüchternd.
Weder hatte er erhaben seinen Arm zum
segnen erhoben, noch war er von ihn liebenden Anhängern umgeben.
Stattdessen lagen seine Arme
versteinert auf seinen Knien und um ihn herum standen Menschen mit
Kleidung, die ihm unverständlich erscheinen musste.
Ich trug eine einfache unscheinbare
Uniform, aber alleine der Stoff war knapp 300 Jahre seiner groben
Kleidung aus Jute und Wolle voraus.
Im Gegensatz zu den anderen Besuchern,
welche teilweise mit Schläuche und bunten Lichtern geschmückt
waren, war ich noch relativ schlicht.
Und alle fixierten ihn voller Hass.
Jeder von uns hatte auf diesen Moment
hin gearbeitet.
Der eine oder andere flackerte etwas,
so als ob er sich jeden Moment wieder auflösen würde.
Ohne dass ein Zeichen gegeben wurde
stürzten wir uns gleichzeitig auf ihn.
Ich kam nicht dazu ihm das Genick zu
brechen.
Irgendjemand entlud eine Waffe. Dann
noch jemand. Immer wieder.
Als wir mit ihm fertig waren, warfen
wir ihn in die Moika.
Schweigend beobachteten wir wie sein
Körper davon schwamm.
Nach und nach verschwanden meine
Mittäter.
Routiniert blickte ich auf meine Uhr.
Sie zeigte meine Zeit als das Jahr 252 nach La grand Liberateur
Xavier an.
Ein kalter Stein bildete sich in meinem
Magen.
Heiße Tränen pressten sich aus meinen
Augen.
Rasputin wurde einfach durch einen
anderen ersetzt.
Die Kälte meines Magens und die Hitze
meiner Tränen bündelten sich und ich landete nach einer kurzen
Lektüre der aktuellen historischen Dokumente im Jahr 25 nach
Rasputin bzw. 26 nach Xavier auf einer Kundgebung in Calais.
Auf der Bühne stand Xavier und hielt
eine schmetternde Rede die ich nicht verstand.
Dann löste sich ein Schuss und der
Kopf von Xavier explodiert.
Dann noch einer und noch einer und noch
einer.
Diesmal bin ich nicht der Täter,
sondern nur ein Zeuge.
Aber ich bin nicht allein. In der
Menschenmasse, die eben noch in ehrfürchtiger Angst dem aktuellen
Diktator lauschte und nun panisch auseinander stob, meinte ich das
ein oder andere bekannte Gesicht von meiner vorherigen Station zu
erkennen.
Mal war es auch eine Kombination von
Kleidung, die besonders hervorstach oder ein kleiner technischer
Apparat der mir absonderlich bekannt vorkam.
Ohne mich länger als nötig
aufzuhalten sprang ich weiter.
Meine Landung verlief körperlich ohne
weitere Probleme.
Aber emotional war sie erschütternd.
Ich befand mich vor dem Buckingham
Palast im Jahr 9 von King George.
Bevor ich einen klaren Gedanken fassen
konnte explodierte der Palast hinter mir.
Meine unbekannten Kameraden waren also
auf dem selben Weg wie ich.
Also sprang ich weiter.
Und weiter.
Und weiter.
Nach Russland, Portugal, Griechenland,
Spanien, wieder Russland, Polen, noch einmal Frankreich.
Diese ganze Epoche war durch und durch
anfällig für totalitäre Regime.
Zehn Jahre vor, drei Jahre zurück,
zwanzig Jahre zurück, neunzehn nach vorne.
Immer wieder jemand anderes mit einer
eigenen Zeitrechnung.
Ich verlor die Orientierung.
In meiner Verwirrung stellte ich meinen
Kompass falsch ein und landete ungewollt auf einer Wiese umgeben von
Lehmhütten.
Vor den Lehmhütten standen Menschen in
der einfachsten Kleidung die man sich aus Stoff herstellen konnte.
Sie agierten weder panisch, noch
überrascht, sondern begutachteten mich vielmehr erwartungsvoll.
Aus der Masse löste sich ein Mann, der
knapp vierzig Jahre alt sein musste.
Er fragte mich von wann ich komme.
Die Überraschung, dass er mich nach
dem wann und nicht nach dem wo fragt, traf mich erst später.
Ich nenne ihm meine Zeitrechnung und er
zeigt ein wissendes Lächeln und meint, nur, dass ich in die falsche
Richtung gesprungen bin.
Bevor ich wieder zurück springe
begutachtet er noch kurz interessiert meine Rüstung.
Dann schüttelt er abwesend den Kopf
und wünscht mir viel Glück.
Panisch sprang ich ihm an die Kehle und
brüllte ihn ohne Sinn und Verstand an: „GIBT ES IHN? IST ER
MACHBAR? GIBT ES DEN VIERTEN WEG?!“
Unser umstehendes Publikum hatte keine
Möglichkeit zu reagieren, den mein Opfer drückte mir gekonnt mit
seinen Beinen die Luft ab und mit einer geübten Drehung beförderte
er mein Gesicht in das Gras und sich selber auf meinen Rücken.
Sachlich und klar konnte ich eine
Stimme vernehmen: „Keine Ahnung. Soweit bin ich nie gekommen.“
Also springe ich zurück.
Als mein Kopf wieder klar ist setze ich
die mir bekannten Fakten zusammen.
Der Mann auf der Wiese mit den
Lehmhütten war ein anderer Zeitreisender gewesen.
Gestrandet in einer fernen Zukunft.
Eine ferne Zukunft in der die Menschen
wieder in Lehmhütten leben.
Und ich hatte aufgrund der andauernden
Belastung kurz den Verstand verloren.
Wie viele Dimensionen hatte ich schon
durchschritten?
Wie viele Möglichkeiten hatte ich
erschaffen und wie viele zerstört.
Reiste ich überhaupt durch die Zeit
oder waren das alles nur verschiedene Dimensionen und Möglichkeiten,
die sich mir hier darboten.
Es gibt die drei theoretischen Wege der
Zeitreise.
Die Schleife.
Das Paradoxon.
Die Parallelwelten.
Ich habe eine andere Theorie und dies
ist der Versuch es herauszufinden.
Entweder man begreift die Zeit als eine
linear oder systematisch.
Entweder gibt es nur zwei Punkte die
sich gegenseitig bestimmen, also der Anfang und das Ende.
Oder man begreift diese Linie als eine
Ansammlung von Punkten, die sich gegenseitig bestimmen können.
Wenn sich genügend Antikörper finden,
die einen Schädling im Zeitablauf bekämpfen, sterben sowohl die
Antikörper, als auch der Schädling.
Der Attentäter mag sterben, aber wenn
er sein Ziel erreicht, dann ist der Despot tot.
Ich musste mich zusammenreißen.
Lieber Gott lass dies den letzten
Diktator sein.
Lass bitte keinen weiteren folgen.
Lieber Gott, lass es noch Sambuca und
Wein geben wenn ich nach Hause komme.
Diesen einen noch.
Noch einmal stürme, noch einmal, guter
Mann!
Dann ist es getan.
Sonst füllt mit toten Holländern die
Mauer!
Ich lande unter der Erde.
Laut meinen Berechnungen musste es
ungefähr siebzig Jahre nach Rasputins Geburt sein.
Laut meinen Anzeigen bin ich in
Deutschland, Berlin.
Es ist ein Bunker.
Eckig, kalt und abweisend bahnte sich
der Beton bombensicher seinen Weg durch die Erde.
Trotz der dicken Wände konnte man
hören wie auf der Erdoberfläche ein Kampf tobte.
Der Geruch von verbranntem Fleisch und
Schießpulver stieg mir in die Nase.
Dem Geruch folgend lande ich in einem
Raum mit toten Männern, Frauen und Kindern.
Vergiftet, erschossen, verbrannt.
Es war nur noch ein anderer da.
Mit seiner silbernen Rüstung, die sich
ewig zu bewegen schien, stand er gebeugt über einem halb verbrannten
Körper.
Mit müden Augen schaut er mich an und
meint mit schleppender Stimme: „Der war noch schlimmer als
Athmann.“
„Wer ist Athmann?“, fragte ich ihn
verwirrt.
„Wieso bist du denn hier?“
„Rasputin, wegen wem denn sonst?“
„Wer ist Rasputin?“
Hysterisch fangen wir beide an zu
lachen.
Ich frage ihn bei wie vielen er dabei
war.
17.
Ich kann ihn mit meinen 12 nur
unterbieten.
Wir hoffen beide, dass es der letzte
Drecksack gewesen ist.
Vor mir liegt mein nächster Sprung.
Ich habe überlebt.
Ich bin ein Repräsentant des vierten
Weges.
Ich habe keine Heimat mehr.
Laut der Theorie würde ich mit meiner
aktuellen Persönlichkeit verschmelzen, die sich auf dieser neuen
Zeitlinie entwickelt hatte.
Also richte ich mir eine geschätzte
Sperre von 150 Jahren um meine angenommene neue Lebenszeit.
Ob es mich da wirklich nochmal gibt ist
eine Frage, der ich ein anderes Mal nachgehen konnte.
Ich schaue auf meine Uhr um die Zeit zu
überprüfen.
Jede Zeit die ich wähle zeigt sich im
Format nach Christus.
Wer war dieser Christus?
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