Mittwoch, 14. August 2013

Der vierte Weg

Also entschloss ich mich für zehn Jahre.  
Dies berechtigte mich automatisch zum Studium an einer Militärakademie.
Dank dieser Laufbahn durfte ich mich Major der Infanterie schimpfen.
Aufgrund dieser Laufbahn, dieser Erfahrung und diesem Titel konnte ich auch ohne Probleme mein Vorhaben umsetzen.
Es wurde noch nicht mal besonders nachgefragt wie dieses Projekt der vereinigten Russischen Föderation helfen konnte.
Sobald man Physik studierte erwarteten die Leute anscheinend, dass man auf bestimmte Ideen kam.
Nur solche Leute kommen auf die Idee einer Zeitmaschine.
Ich war noch nicht einmal der erste, der mit dieser Idee ankam.
Nur funktionierte es unter meiner Leitung endlich.
Und so sprang ich in das Gestern.
Mit einem Gefreiten, der für gute Verdienste mit diesem Ausflug belohnt und einen einflussreichen Vater hatte.
Wir landeten im Jahr 50 vor Rasputin im mittleren Europa.
Der Junge wollte unbedingt einen großen Dichter treffen.
Ich hatte ihn im Auge zu behalten, damit er keine Dummheiten machte.
Also studierte ich den Genickbruch für später an ihm schon einmal ein.
Selbst einem Major mit ausgezeichneter Führung hätte man keinen Sprung in die Lebensspanne eines Rasputin erlaubt.
Also musste man warten bis sich die richtige Möglichkeit ergab.
Wir sprechen russisch, wir essen russisch, wir sollen russisch denken.
Vor 164 Jahren ist Rasputin der Große gestorben.
Laut der Legende hat sich der Tod an ihn im Schlaf herangeschlichen und ihn mit einer goldenen Kugel selber erledigt haben, da Rasputin selbst für ihn zu mächtig war.
Seine Erben wandeln und bedienen sich in Europa.
Unser Land hieß mal Holland. Wir waren mal Holländer.
Auch uns hat einmal die Welt gehört.
Das vergisst man nicht.
Urgroßmutter hat Großvater Geschichten erzählt und Großvater hat Mutter Geschichten erzählt.
Von Mund zu Mund wurden die alten Geschichten und Wahrheiten weitergegeben.
In Schrift waren sie verboten, aber von Mund zu Mund überlebten die alten Gedanken.
Und in Gedanken sind wir immer noch Holländer.
Ich wurde Physiker.
Alle anderen haben sich auch Jura, Wirtschaft und Medizin gestürzt.
Dann gab es diejenigen die Gesellschaft, Geist und Kultur studieren wollten.
Mein Vater hätte es gerne gesehen einen Arzt in der Familie gehabt und Mutter spielte mit dem Gedanken, dass ich ein großer Künstler werde.
Weder das eine, noch das andere wäre mir schwer gefallen.
Mir wurde immer nachgesagt, dass ich eine schnelle Auffassungsgabe habe. Meine einzigen Probleme waren, dass ich mich oft verzettelte und dass ich immer wieder mit meinem eigenen Schweinehund zu kämpfen hatte.
Ich wurde Physiker.
Ich hatte mich damit zu beschäftigen wie weit man Zeit und Raum dehnen konnte.
Ich habe den ersten Apparat mit gestaltet mit dem man durch Zeit und Raum wandern kann.
Die Russen haben es möglich gemacht.
Die Russen haben mich möglich gemacht
Auf dem Papier bin ich auch ein Russe.
Es gibt hier keinen Platz für Individualität.
Weder auf staatlicher noch auf privater Ebene.
Aber so haben die Russen haben möglich gemacht, dass ein Holländer an einer Maschine arbeitet, die Wege durch die Raum- Zeit Krümmung schlägt.
Mein erster Sprung ist mein eigener Sprung.
Jeder durfte eine kleine Erkundung unternehmen.
Natürlich nur in Begleitung und mit vorheriger Beschreibung des exakten Ziel.
Der Untergang des römischen Reiches ist ein beliebtes und amüsantes Ziel.
Jeder hat seine eigenen Behauptungen darüber wie dieses Imperium zugrunde ging und jede Behauptung zerfällt bei jeder Erkundung.
Es ist einfach langsam dahin gesiecht.
Der dreißig jährige Krieg ist auch sehr beliebt.
Und aus irgendeinem Grund wollen viele nach Persien in das Jahr 3609 vor Rasputin.
Den Grund dafür konnte mir niemand erklären.
Aber ich konnte auch niemanden mein Ziel erklären.
Ich wollte nach Russland.
In das Jahr 47 nach Rasputin.
Als Datum entschied ich mich für den 28. Dezember.
Niemand konnte ahnen, dass ich Rasputin töten wollte.
Ich würde ihm einfach das Genick brechen.
So wie dem armen Gefreiten.
Diese Idee hatte ich seit Kindertagen.
Vielleicht bildeten die Geschichten meiner Eltern und Großeltern den Grundstein dafür.
Vielleicht hatte ich auch vor den ewig gleichen Bildern des großen Rasputin und unseren großen Kommandeur Abramowitsch die überall zu sehen waren von klein auf Angst, die irgendwann in kalten kalkulierenden Hass um schlug.
Oder es ist die Art und Weise wie jeder hier auf grauen Straßen, mit grauen Häusern in grauen Uniformen sein Leben zu fristen hatte.
Während meiner Militärlaufbahn, durfte ich ausreichend Erfahrung sammeln, die mich zusätzlich zu meinem Studium auf mein Vorhaben vorbereitete.
Das Militär hatte dieses Projekt erst möglich gemacht.
Jeder der studieren wollte, hatte schon in der zehnten Klasse eine Absichtserklärung abzugeben, dass er der großen Russischen Föderation mehr als die grundsätzlich geforderten achtzehn Monate militärisch dienen wollte.
Für ein sicheres Studium seiner Wahl musste man sich für fünf Jahre verpflichten.
Ich wollte meine Ruhe haben, also entschloss ich mich für zehn Jahre.
Das führte zu einigen Diskussionen zu hause.
Bevor ich zu meinen nächsten Sprung ansetzte verscharrte ich den armen Gefreiten ohne militärische Ehren im fremden Boden.
Er ist nicht der erste und auch nicht der letzte Soldat dem dieses Schicksal widerfährt.
Vielleicht würde ich auch so enden.
Um auch wirklich sicher zu sein schaute ich vor meiner nächsten Etappe auf meine kleine spezielle Uhr.
Eine Absicherung um Nachzuprüfen wie die Zeitrechnung am gewünschten Zielort lautet und wie die eigene dazu lautet um Verwirrungen und Fehlsprünge zu vermeiden.
Mein Start war 251 nach Rasputin dem Großen.
Mit sicherem Schritt bewegte ich mich auf das Jahr 47 nach der Geburt unseres ach so großen Staatengründers zu.
Ich landete in Russland in Sankt Petersburg. Wie gewünscht am 28. Dezember.
Wie gewünscht im Moika Palast in der Unterkunft von Rasputin des Großen.
Der Gestank der Ära brach sich stechend in meine Ära.
Es ist interessant was man alles herausfindet, wenn man nur gründlich ließt und zuhört.
Ich war immer ein vorbildlicher Schüler gewesen.
Meine Laufbahn beim Militär und an der Akademie war tadellos.
Wenn ich höflich fragte, gelangte ich zu den Informationen die ich brauchte.
Natürlich nicht alle auf einmal, sondern sorgsam verteilt über die Jahre und immer in Verbindung mit anderen vorgeschobenen Gründen, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun hatten.
Die Vorgesetzten meinten mehr als einmal, dass mein vorbildlicher Charakter gerade dazu einlud in Delinquenten kopiert zu werden.
Das würde sicher zu einigen Überraschungen führen.
Milde überrascht musste ich feststellen, dass ich mit meiner Idee nicht der einzige war.
Der Anblick des ach so großen Rasputin von Angesicht zu Angesicht war unglaublich ernüchternd.
Weder hatte er erhaben seinen Arm zum segnen erhoben, noch war er von ihn liebenden Anhängern umgeben.
Stattdessen lagen seine Arme versteinert auf seinen Knien und um ihn herum standen Menschen mit Kleidung, die ihm unverständlich erscheinen musste.
Ich trug eine einfache unscheinbare Uniform, aber alleine der Stoff war knapp 300 Jahre seiner groben Kleidung aus Jute und Wolle voraus.
Im Gegensatz zu den anderen Besuchern, welche teilweise mit Schläuche und bunten Lichtern geschmückt waren, war ich noch relativ schlicht.
Und alle fixierten ihn voller Hass.
Jeder von uns hatte auf diesen Moment hin gearbeitet.
Der eine oder andere flackerte etwas, so als ob er sich jeden Moment wieder auflösen würde.
Ohne dass ein Zeichen gegeben wurde stürzten wir uns gleichzeitig auf ihn.
Ich kam nicht dazu ihm das Genick zu brechen.
Irgendjemand entlud eine Waffe. Dann noch jemand. Immer wieder.
Als wir mit ihm fertig waren, warfen wir ihn in die Moika.
Schweigend beobachteten wir wie sein Körper davon schwamm.
Nach und nach verschwanden meine Mittäter.
Routiniert blickte ich auf meine Uhr. Sie zeigte meine Zeit als das Jahr 252 nach La grand Liberateur Xavier an.
Ein kalter Stein bildete sich in meinem Magen.
Heiße Tränen pressten sich aus meinen Augen.
Rasputin wurde einfach durch einen anderen ersetzt.
Die Kälte meines Magens und die Hitze meiner Tränen bündelten sich und ich landete nach einer kurzen Lektüre der aktuellen historischen Dokumente im Jahr 25 nach Rasputin bzw. 26 nach Xavier auf einer Kundgebung in Calais.
Auf der Bühne stand Xavier und hielt eine schmetternde Rede die ich nicht verstand.
Dann löste sich ein Schuss und der Kopf von Xavier explodiert.
Dann noch einer und noch einer und noch einer.
Diesmal bin ich nicht der Täter, sondern nur ein Zeuge.
Aber ich bin nicht allein. In der Menschenmasse, die eben noch in ehrfürchtiger Angst dem aktuellen Diktator lauschte und nun panisch auseinander stob, meinte ich das ein oder andere bekannte Gesicht von meiner vorherigen Station zu erkennen.
Mal war es auch eine Kombination von Kleidung, die besonders hervorstach oder ein kleiner technischer Apparat der mir absonderlich bekannt vorkam.
Ohne mich länger als nötig aufzuhalten sprang ich weiter.
Meine Landung verlief körperlich ohne weitere Probleme.
Aber emotional war sie erschütternd.
Ich befand mich vor dem Buckingham Palast im Jahr 9 von King George.
Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte explodierte der Palast hinter mir.
Meine unbekannten Kameraden waren also auf dem selben Weg wie ich.
Also sprang ich weiter.
Und weiter.
Und weiter.
Nach Russland, Portugal, Griechenland, Spanien, wieder Russland, Polen, noch einmal Frankreich.
Diese ganze Epoche war durch und durch anfällig für totalitäre Regime.
Zehn Jahre vor, drei Jahre zurück, zwanzig Jahre zurück, neunzehn nach vorne.
Immer wieder jemand anderes mit einer eigenen Zeitrechnung.
Ich verlor die Orientierung.
In meiner Verwirrung stellte ich meinen Kompass falsch ein und landete ungewollt auf einer Wiese umgeben von Lehmhütten.
Vor den Lehmhütten standen Menschen in der einfachsten Kleidung die man sich aus Stoff herstellen konnte.
Sie agierten weder panisch, noch überrascht, sondern begutachteten mich vielmehr erwartungsvoll.
Aus der Masse löste sich ein Mann, der knapp vierzig Jahre alt sein musste.
Er fragte mich von wann ich komme.
Die Überraschung, dass er mich nach dem wann und nicht nach dem wo fragt, traf mich erst später.
Ich nenne ihm meine Zeitrechnung und er zeigt ein wissendes Lächeln und meint, nur, dass ich in die falsche Richtung gesprungen bin.
Bevor ich wieder zurück springe begutachtet er noch kurz interessiert meine Rüstung.
Dann schüttelt er abwesend den Kopf und wünscht mir viel Glück.
Panisch sprang ich ihm an die Kehle und brüllte ihn ohne Sinn und Verstand an: „GIBT ES IHN? IST ER MACHBAR? GIBT ES DEN VIERTEN WEG?!“
Unser umstehendes Publikum hatte keine Möglichkeit zu reagieren, den mein Opfer drückte mir gekonnt mit seinen Beinen die Luft ab und mit einer geübten Drehung beförderte er mein Gesicht in das Gras und sich selber auf meinen Rücken.
Sachlich und klar konnte ich eine Stimme vernehmen: „Keine Ahnung. Soweit bin ich nie gekommen.“
Also springe ich zurück.
Als mein Kopf wieder klar ist setze ich die mir bekannten Fakten zusammen.
Der Mann auf der Wiese mit den Lehmhütten war ein anderer Zeitreisender gewesen.
Gestrandet in einer fernen Zukunft.
Eine ferne Zukunft in der die Menschen wieder in Lehmhütten leben.
Und ich hatte aufgrund der andauernden Belastung kurz den Verstand verloren.
Wie viele Dimensionen hatte ich schon durchschritten?
Wie viele Möglichkeiten hatte ich erschaffen und wie viele zerstört.
Reiste ich überhaupt durch die Zeit oder waren das alles nur verschiedene Dimensionen und Möglichkeiten, die sich mir hier darboten.
Es gibt die drei theoretischen Wege der Zeitreise.
Die Schleife.
Das Paradoxon.
Die Parallelwelten.
Ich habe eine andere Theorie und dies ist der Versuch es herauszufinden.
Entweder man begreift die Zeit als eine linear oder systematisch.
Entweder gibt es nur zwei Punkte die sich gegenseitig bestimmen, also der Anfang und das Ende.
Oder man begreift diese Linie als eine Ansammlung von Punkten, die sich gegenseitig bestimmen können.
Wenn sich genügend Antikörper finden, die einen Schädling im Zeitablauf bekämpfen, sterben sowohl die Antikörper, als auch der Schädling.
Der Attentäter mag sterben, aber wenn er sein Ziel erreicht, dann ist der Despot tot.
Ich musste mich zusammenreißen.
Lieber Gott lass dies den letzten Diktator sein.
Lass bitte keinen weiteren folgen.
Lieber Gott, lass es noch Sambuca und Wein geben wenn ich nach Hause komme.
Diesen einen noch.
Noch einmal stürme, noch einmal, guter Mann!
Dann ist es getan.
Sonst füllt mit toten Holländern die Mauer!
Ich lande unter der Erde.
Laut meinen Berechnungen musste es ungefähr siebzig Jahre nach Rasputins Geburt sein.
Laut meinen Anzeigen bin ich in Deutschland, Berlin.
Es ist ein Bunker.
Eckig, kalt und abweisend bahnte sich der Beton bombensicher seinen Weg durch die Erde.
Trotz der dicken Wände konnte man hören wie auf der Erdoberfläche ein Kampf tobte.
Der Geruch von verbranntem Fleisch und Schießpulver stieg mir in die Nase.
Dem Geruch folgend lande ich in einem Raum mit toten Männern, Frauen und Kindern.
Vergiftet, erschossen, verbrannt.
Es war nur noch ein anderer da.
Mit seiner silbernen Rüstung, die sich ewig zu bewegen schien, stand er gebeugt über einem halb verbrannten Körper.
Mit müden Augen schaut er mich an und meint mit schleppender Stimme: „Der war noch schlimmer als Athmann.“
„Wer ist Athmann?“, fragte ich ihn verwirrt.
„Wieso bist du denn hier?“
„Rasputin, wegen wem denn sonst?“
„Wer ist Rasputin?“
Hysterisch fangen wir beide an zu lachen.
Ich frage ihn bei wie vielen er dabei war.
17.
Ich kann ihn mit meinen 12 nur unterbieten.
Wir hoffen beide, dass es der letzte Drecksack gewesen ist.
Vor mir liegt mein nächster Sprung.
Ich habe überlebt.
Ich bin ein Repräsentant des vierten Weges.
Ich habe keine Heimat mehr.
Laut der Theorie würde ich mit meiner aktuellen Persönlichkeit verschmelzen, die sich auf dieser neuen Zeitlinie entwickelt hatte.
Also richte ich mir eine geschätzte Sperre von 150 Jahren um meine angenommene neue Lebenszeit.
Ob es mich da wirklich nochmal gibt ist eine Frage, der ich ein anderes Mal nachgehen konnte.
Ich schaue auf meine Uhr um die Zeit zu überprüfen.
Jede Zeit die ich wähle zeigt sich im Format nach Christus.
Wer war dieser Christus?

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