Mittwoch, 7. August 2013

Fred

Das sechs Uhr Morgen Bombardement ist pünktlich wie immer.1ie Schockwelle der Explosion wandert durch den Boden bis zu mir in meinen Keller. Ein neuer Tag beginnt. Sie geben ihm alles was sie aufbieten können. Er lässt sich davon nicht beeindrucken. Ich habe immer noch etwas alten Käse, ein paar Dosen und Äpfel.
Heute werde ich überstehen, morgen auch. Für übermorgen sieht es auch nicht schlecht aus. Über die Zeit danach mache ich mir Gedanken wenn es soweit ist. Bis dahin versuche ich mich daran zu erinnern wie es hier ausgesehen hat bevor alles vor die Hunde gegangen. Die große Hauptstraße, die jeden verlässlich durch die Mitte unserer Stadt führte. Der Dönerladen, mit den immer gleichen alten Männern, die bei Tee und Gebäck über Gott und die Welt, alles und nichts diskutierten. Dieser schrecklich rosa glitzernde „Nails and more“ Laden, in den fast jede Mutter aus unserem Ort von ihrer Tochter geschliffen wurde, damit irgendwelche kitschigen Verlängerungen an die Finger geklebt wurden. Vor einer Bäckerei spielten ein paar kleine Jungs mit ihren Spielzeugpistolen und ein paar große Jungs hatten einen Streit über irgendwelche belanglosen Dinge. Das alles scheint eine Ewigkeit her. Meine Dosen sind laut ihrem Aufdruck noch zwei Jahre haltbar. Wir glauben, dass es aus dem Weltall kam. Irgendein Komet, der zur Erde stürzte und seine unheilvolle Fracht bei uns hinterließ. Aber das ist nur eine Vermutung. Vielleicht hat es sich auch aus der Erde hoch gegraben. Oder es lag schon seit Ewigkeiten auf dem Feld, wie ein Findling aus der Eiszeit und wartete einfach darauf, dass jemand vorbei kam. Fred war derjenige der es fand. Vielleicht war es auch andersherum. Es macht keinen Unterschied. Wir fanden ihn am nächsten Tag auf dem Feld. Seine Eltern hatten sich Sorgen gemacht. Fred war vielleicht auf seine Art und Weise ein Unruhestifter, aber er war immer pünktlich. Warum er in dieser Nacht hinaus aufs Feld gegangen war werden wir wohl nie erfahren. Er lag bewusstlos neben einem großen Stein, der aussah wie jeder andere große Stein. Wir brachten ihn zum alten Doktor Connors, der ihn wieder aufpeppelte. Nach seiner Genesung wurde Fred hungrig. Sehr, sehr hungrig. Doktor Connors war wahrscheinlich sein erstes Opfer. Als nächstes verschlang er alles und jeden was ihm in den Weg kam. Ratten, Hunde, Männer, Frauen, Kinder. Einfach alles. Ich war gerade dabei mir einen Kaffee zu machen. Meine Eltern waren gerade bei irgendeinem Treffen in der Kirche. Das nächste Stadtteil-Fest stand vor Tür. Mein Kaffee war fertig und mein Müsli wartete in der Schüssel darauf von mir wie jeden Morgen verspeist zu werden. Dann drangen die Schreie durch die geschlossenen Fenster. Darauf folgten die Sirenen. Und mit den Schreien und den Sirenen kam ein brummendes und schleifendes Geräusch, das mir durch Mark und Bein drang. Die Sirenen ertönen so gut wie nie. Wenn es einen Unfall oder einen Brand gab, dann ruft man den alten Robert auf der Polizeiwache an oder den dicken Mick von der freiwilligen Feuerwehr. Dann kommen Mick oder Robert mit einem Kollegen und klären die Sache. Jedes Jahr im Sommer finden sich ein paar Jungs zusammen und lösen den Alarm aus. Eine kleine Mutprobe, die sich zu einer kleinen Tradition entwickelt hatte. Ich hatte es vor ein paar Jahren mit meinen Kumpels gemacht, genauso wie mein Vater, sein Bruder und mein Großvater. Die Sirenen wurden in den frühen fünfziger Jahren eingerichtet und waren so konzipiert, dass wirklich jeder sie hören konnte. Feueralarm plus Einbruchalarm und Flugalarm. Es war später Herbst. Die Zeit der Mutprobe war schon ein paar Monate vorbei. Vor meinem Fenster konnte ich sehen wie zuerst Robert mit seinem alten Streifenwagen vorbei raste, gefolgt vom zweiten Streifenwagen und dem Polizeibus. Keine fünf Minuten später kam Mick mit seinen zwei Löschwagen. Dann ertönten Schüsse, gefolgt von noch mehr Schreien. Ich saß vor meinem Kaffee und meinem Müsli und konnte mich nicht rühren. Dann erbebte die Erde und eine Staubwolke erfüllte die Erde. Ein hohes Klicken und Krachen ließ die Scheiben meiner Fenster vibrieren. Eines der Häuser war eingestürzt. Die Schreie und die Schüsse ebbten immer mal wieder ab, aber das schleifende Brummen erfüllte gleichmäßig die Luft. Den sperrigen Klumpen mit dem Namen Angst herunter schluckend ging ich ans Fenster und schaute die Straße herunter. Es war größer als jedes Haus, widerlich grau, ekelhaft unförmig und es hatte eine riesige Karikatur von Freds Gesicht auf einem dicken wabernden Stumpen, das nach aller Wahrscheinlichkeit der Hals sein sollte. Ohne jede Form, in andauernder Bewegung rollte das was den Tag vorher noch Fred war die Straße herunter. Aus dem widerlich gräulich glänzenden Berg der seinen Körper darstellen sollte bildeten sich unzählige lange Arme, die unkontrolliert durch die Luft peitschten. Er suchte nach Futter. Es war ihm egal was. Was er fand wurde verschlungen. So gut wie jeder der von ihm davon rannte, wurde zielsicher von einem seiner Arme eingefangen. Und mit jeder verschlungenen Masse wuchs er. Er kam aus der Richtung, wo die Kirche gewesen war. Ich konnte meine Eltern nirgendwo sehen. Auch Mick und Robert waren nicht mehr da. Die Luft füllte sich mit dem Geruch von verbranntem Fleisch. Mein Verstand schaltete sich ein. Ich rannte hinunter in den Keller. Einer alten Laune folgend, kaufte mein Vater immer genügend Essen ein, das für mehrere Monate reichte. Wenn ihn jemand damit aufzog, dann verwies er auf die alten harten Zeiten, die jederzeit wieder kommen konnten. Es dauerte nur ein paar Tage bis sich die Armee einschaltete. Zur jeden vollen Stunde starten sie eine neue Attacke. Ich frage mich warum er mich übrig gelassen hat. Vielleicht weil ich mich an die alten gemeinsamen Zeiten erinnere. Daran wie wir uns vor der Bäckerei um nichtige Sachen stritten. Und während draußen die Bomben auf ihn nieder prasseln frage ich mich wie lange es dauert bis sie merken, dass er alles frisst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...

Beliebte Posts