Donnerstag, 17. September 2015

Party auf dem Ergometer


Es ist ein Armutszeugnis, wenn man nur von seinem Reichtum zu reden weiß.
Sprichwort

Eigentlich will ich diesen Text hier nicht schreiben.
Ich habe da ein Raumschiff, dass gerade in einer Raumzeitverkrümmung festhängt, einen Typen der durch eine verwunschene Stadt irrt und noch lauter andere Geschichten, die mir gerade durch den Kopf geistern.
Aber die können gerade irgendwie nicht raus.
Genauso wie ich letztes Jahr meine Wohnung in zweieinhalb Stunden sauber gekriegt habe, konnte ich auch im Durchschnitt 1500 Wörter pro Tag schreiben, genauso wie ich Texte mal eben quer lesen konnte.
Jetzt liegen in meinem Nachtschrank lauter Bücher, die ich nicht lesen kann, weil mir die Konzentration fehlt.
Das einzige was ich gerade aufnehmen kann sind Zitate und mein Wordcount ist bei knapp 500 die Woche.
Wenn ich mit Menschen zu tun habe bekomme ich Kopfschmerzen und selbst gut gemeinte Besuche strengen mich an. Nach einer Stunde Ballspielereien in der Bewegungstherapie falle ich vollkommen erschöpft in mein Bett.
Theoretisch könnte ich da den ganzen Tag bleiben, aber dann ist da wieder die innere Unruhe und die Monster in meinem Kopf machen sich breit.
Also setze ich mich so oft es geht auf den Ergometer, auch bekannt als Hometrainer oder Standfahrrad, und reagiere mich ab.
Entweder weil man als Süchtiger seine Ausdauer trainieren soll oder weil ich aus gut unterrichteter Quelle weiß, dass das russische Wort für trainieren wortwörtlich übersetzt aufladen bedeutet.
Beim auf der Stelle radeln höre ich Musik und mach die Augen zu, dann habe ich vor der Welt meine Ruhe.
Nach knapp 30 Minuten kommt die leichte Euphorie, die nach dem Absteigen knappe 10 Minuten anhält.
Wenn es möglich ist, gehe ich spazieren.
Am besten da wo es keine oder nur wenige Menschen gibt.
Im Wald fühle ich mich wohl, hier bin ich aufgewachsen und kein Wildschwein kann so grausam sein wie manche Menschen die ich kenne.
Die frische Luft erfrischt ein wenig den Kopf und lockert ein wenig die Wolke die ihn umgibt.
Auf der Station geistern die unterschiedlichsten Patienten herum.
Eine Frau hat den Körper einer Zwanzigjährigen, aber das Gesicht ist nochmal vierzig Jahre älter.
Dazu trägt sie farblich abgestimmten Nagellack zu Haarschleife und Pullover.
Ein großer kräftiger Mann gibt in der Arztsprechstunde zu verstehen, dass er kein Alkoholiker ist.
In der Bewegungstherapie lässt er durchblicken, dass er wegen Amphetaminen hier ist.
Er freundet sich schnell mit einer jungen blonden Frau an, die ein mechanisches Lachen hat und wegen Medikamenten hier ist.
Dann ist da ein kleiner Mann, der nur hier ist um mal kurz Pause vom dauernden Saufen zu machen, was eine Freundin mit „Der hat den Schalter nicht gefunden“ kommentiert.
Schließlich ist da noch ein Mann mit Gehstock, der laut eigener Aussage seit 40 Jahren Schwerstalkoholiker ist und ja nur hier ist um ein Gerinsel zu überprüfen, alles andere werde wird sich schon irgendwie geben und diesen Psychoterror hier kann ja niemand aushalten.
Ich nenne ihn „männliche Margarete“, weil er mich an jemanden bestimmtes erinnert.
Er haut verbal gerne auf den Putz, nur um danach dann leise hinter den Rücken der anderen zu sagen „Verstehst ja wie ich das gemeint habe“.
Keine Aussage hat auch nur irgendwie ein Gewicht, geschweige denn Hand und Fuß.
Eigentlich könnte ich ihn auch Jan nennen.Christine, Daniel oder Sarah wären auch in der engeren Wahl.
Mit den Leuten hier verbindet mich nichts.
Bei den Selbsthilfegruppen die sich hier vorstellen, fällt immer wieder gerne der Satz „Wir wissen ja alle was wir für ein Problem haben“
Ich habe keinen Saufdruck, mein Blutdruck singt beständig, ich zähle nicht die Tage, die ich ohne Suff meister und die Flaschen rufen auch nicht nach mir.
Ich bin ein ziemlich starker Raucher und ich weiß wie sehr der Stoff nach einem schreien kann und wenn ich nicht rauche kribbelt meine Haut, als ob Ameisen darauf tanzen würden.
Der Alkohol ist eine Nebensächlichkeit, die außer Kontrolle geraten ist um etwas zu kaschieren.
Er macht so herrlich dumpf und er behindert so schön das nachdenken.
Unbewusst habe ich versucht eine Wunde in meinem Kopf zu sterilisieren.
Jetzt kann ich meinen Kopf nicht mehr so nutzen wie vor einem Jahr.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...

Beliebte Posts