Donnerstag, 19. November 2015

Intermezzo

quelle: FAZ/ Übersetzung: Nicht in meinem Namen
Es hat niemanden getroffen den ich kenne.
Diesmal nicht.  Wieder nicht. Noch nicht.
Anstelle der schönen sachlichen kleinen Punkte am Ende dieser Zweiwortsätze könnten auch Fragezeichen stehen.
Familie und Freunde sind körperlich ohne Schaden und so wie es sich bis jetzt abzeichnet sind auch ihre Familien und Freunde ohne Schaden und das ist erst einmal das wichtigste.
Genauso wie beim Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, den Unruhen in der Türkei und dem Erdbeben in Nepal habe ich in meinem Bekanntenkreis auch diesmal wieder keine Verluste zu verzeichnen und bin dankbar dafür.
Dankbar. Dankbar. Dankbar.
Eigentlich bin ich gerade dabei eine Distanz zum Internet aufzubauen, aber in solchen Situationen ist das viel geschundene und verfluchte Facebook die schnellste und einfachste Möglichkeit sich zu vergewissern ob es Freunden und Familienangehörigen aus den betroffenen Ländern gut geht.
Wir leben in einer globalisierten und digitalisierten Welt und genauso wie sich der Terror in Echtzeit durch den Äther verbreitet, verbreiten sich auch die Anteilnahmen und Trauerbekundungen.
Zwischen all die verschiedenen kleinen und großen Zeichen der Verbundenheit mischen sich wie immer diejenigen die auf die Toten bei andern Katastrophen hinweisen, frei nach dem Motto: „Die anderen Toten, sind ja genauso schlimm oder noch viel schlimmer als die in Paris und man solle doch bitte allen gleich gedenken.“
Nur kannte ich persönlich keine Betroffenen beim Absturz am 31. Oktober, dafür hatte ich Bekannte in Paris, die wahrscheinlich ebenso wie ich in Berlin an einem Freitag einfach auf einem Konzert waren und hier sei einfach mal knallhart erwähnt, dass wer allen gedenken will am Ende niemanden gedenkt.
Zu den Besserwissern gesellen sich noch diejenigen, die sich mit seriellen Bildchen darüber lustig machen, dass einige ihr Profilbild ändern um ein Mindestmaß der Verbundenheit zu zeigen.
Bin ich selber nicht vor Hochmut und Arroganz gefeit, empfinde ich solche Wortmeldungen als unpassend hämisch und tadelnd.
Ich bin in solchen Fällen dafür einen Internet – Knigge einzuführen.
 Genauso wenig wie man schlecht über die Toten redet, hat man nicht die eine Tragödie gegen die andere auszuspielen und wenn man sich über aktuelle Profilbilder bösartig lustig macht, kann man auch hinter vorgehaltener Hand über die Leute lästern, die Blumen niederlegen, es kommt auf das selbe hinaus.
Mit dem mittlerweile Salon fähigen „Ich bin ja politisch viel korrekter als du“ kann man auch ruhig eine Woche warten, was im schnelllebigen Internet ja ungefähr dem obligatorischen Trauerjahr entsprechen dürfte.
Es gibt auch mittlerweile digitale Gedenkseiten und Kondolenzbücher, sein Profilbild im Rahmen einer Tragödie zu ändern hat denselben Charakter.
Eines dieser digitalen Kondolenzbücher wurde auch für Helmut Schmidt eingerichtet, welcher drei Tage vor den Attacken in Paris gestorben ist.
Ich war nie wirklich ein Fan von ihm, aber sein politisches Erbe ist nun gegenwärtiger denn je, da er der Kanzler war, der sich durch den deutschen Herbst kämpfen musste und den Terroristen der RAF sowohl politisch als auch militärisch Paroli zu bieten hatte.
Seine Losung dass mit Terroristen nicht verhandelt wird hat nun erst recht Aktualität, egal ob sie sich RAF, NSU oder ISS nennen.
Das was passiert ist und die potentiellen Folgen davon sickern erst langsam bei mir ein.
Als die ganze Sache passierte war ich wie gesagt selber auf einem Konzert und bekam am Rande mit, dass irgendwas in einem Stadion los sei.
Da ich mich nie recht für Sport interessiert habe, konzentrierte ich mich weiter auf das was auf der Bühne vor sich ging.
Auf dem Hinweg waren mir lauter Eisbären – Fans entgegen gekommen. Wahrscheinlich hatte das was damit zu tun.
Erst auf dem Heimweg bekam ich eine Ahnung von dem was los war und was das bedeutete.
Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres wurde Frankreich Ziel einer Serie von Anschlägen.
Das ist so ein schrecklich sachlicher Satz, der so viel zeigt und verbirgt.
Gefolgt wird dieser Satz von einer Frage, die die Logik diktiert: Was kommt als nächstes?
Nach der Aufregung, nach dem Ausnahmezustand und nach dem Schock.
Wir wissen alle, dass wir ähnliche Situationen schon mal hatten.
 Frankreich ist sowohl in der Nato, als auch eine Veto – Macht in der Uno und liegt gleichzeitig vor unserer Haustür.
Neben den Flüchtlingen ist jetzt auch der Krieg der sie vertrieben hat bei uns faktisch angelangt und das komplette Zitat von Brecht: „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin, dann kommt der Krieg zu euch.“ zeigt seine grausame Wahrheit.
Das mag jetzt für den einen oder anderen fatalistisch klingen, aber es gab auch im Hotel der deutschen Fußballmannschaft eine Bombendrohung und unser Außenminister Steinmeier saß auf der Tribüne neben Hollande als die Anschläge begannen.
Es bleibt hierbei zu hoffen, dass die aktuelle Politikergilde dem verstorbenen Kanzler nicht nur in Worten gedenkt, sondern auch in Taten.
Das schließt auch einen humanen Umgang mit Flüchtlingen ein, die schon zu den Verlierern dieses Krieges gehören und es nicht verdient haben zu Sündenböcken degradiert zu werden.
Das man das in dieser bitteren Angelegenheit noch einmal extra schreiben muss, verleiht der ganzen Sache noch mal einen extra bitteren Geschmack.
Helmut Schmidt mag ein eitler Kerl gewesen sein, aber seine Aufgaben hat er unaufgeregt, pragmatisch und ohne falsche Inszenierung erledigt, was einen willkommenen Gegenpol in ideologisch aufgeheizten Zeiten bildete.
Wie ich reagiert hätte, wenn diese Gesamtsituation vor einem Jahr aufgetreten wäre kann ich nur mutmaßen.
Wahrscheinlich hätte ich mir dann einen schicken Hut aus Aluminium gebaut und würde das Knarzen der Abwasseranlage für Zombies in den Wänden halten.
Das ist weder  Polemik noch Sarkasmus, sondern ein durchaus realistisches Endstadium von einem bestimmten Krankheitsbild.
Es haben vor allem echte Freunde und Familie gesorgt, dass ich dort nicht angelangt bin, sowohl in Berlin als auch anderswo in der Welt.
Für mich noch ein Grund mehr dankbar zu sein.

Dankbar. Dankbar. Dankbar.

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