Donnerstag, 20. August 2015

Kaputt


- Warum säufst du?
- Um zu vergessen.
- Was willst du denn vergessen?
- Dass ich saufe.

Meine Waschmaschine braucht für eine Ladung im Durchschnitt zweieinhalb Stunden.
Vor einem Jahr habe ich sie zweimal in der Woche morgens angestellt, habe das Radio angemacht und bin dann putzend durch meine Wohnung getanzt.
Gestern habe ich es in derselben Zeit geschafft endlich den Boden in der Küche zu wischen.
Vorgestern habe ich in derselben Zeit endlich das Bad geputzt.
Die Wohnung ist in keinem verwahrlosten Zustand, sie muss einfach nur mal kurz geputzt werden.
Ich nehme es mir seit zwei Wochen vor.
Gestern war eigentlich auch eine Lesung von mir geplant, aber ich schaffe es nicht meine eigenen Texte zu lesen. Also habe ich sie abgesagt, obwohl ich mich tierisch darauf gefreut habe.
Ich schaffe es nicht mich für zehn Minuten am Tag mit der Gitarre hinzusetzen und meine Lieder zu üben. Eigentlich habe ich Spaß daran mir Melodien für meine Texte auszudenken, aber ich schaffe es gerade nicht.
Am Montag habe ich all meinen Mut zusammengenommen und habe eine sehr gute Freundin angerufen um über mein Problem zu reden.
Ich hatte mir vorgenommen nicht zu weinen, aber das habe ich nicht geschafft.
Wir haben uns an einen Steg gesetzt und über die aktuelle Situation geredet.
Praktischerweise hat sie einen Bruder, der schwerer Alkoholiker ist und war mehr als aufgeschlossen.
Man soll sich in Krisen Unterstützer suchen und man soll an die Öffentlichkeit gehen, also habe ich sie darum gebeten mindestens drei Personen aus unserem Freundeskreis anzurufen und sie über die Situation zu informieren.
Ich hatte mehr als genug getrunken und nachdem wir fertig waren mit reden bin ich gestolpert und bin in ein Boot gefallen.
Danach habe ich noch mal selber einen Freund angerufen und war wieder kurz vorm Heulen.
Am selben Tag habe ich auch meine Arbeitskollegen darüber informiert, dass ich für die nächsten drei Monate nicht mehr oder nur begrenzt zu erreichen bin. Meinen Chef hatte ich die Woche vorher informiert.
Praktischerweise hat meine eine Kollegin schon mehrfache Erfahrung mit Alkoholikern als Partnern.
Letzten Freitag haben zwei Freunde geheiratet, es war ein wunderbarer Tag von vorne bis hinten. Wir haben gespielt, gescherzt und gelacht.
Während andere tanzen waren, habe ich Kindern Dummheiten beigebracht, weil mir das besonders Spaß macht.
Als ich dann nach Mitternacht zuhause war habe ich einen Heulkrampf bekommen.
Positives Feedback auf meine Texte kann ich nicht genießen.
Den Applaus bei meinen Auftritten nehme ich war, aber nicht in mir auf.
Ich kann mich nicht mehr über meine Erfolge nicht freuen.
Einen Tag vor der Hochzeit habe ich mir bei meinem Hausarzt die Einweisung für die Klinik abgeholt.
Die Schwester wünschte mir noch mal alles Gute.
Als ich mir die Kostenübernahme bei der Krankenkasse abgeholt habe hat mir der Bearbeiter verwirrt und traurig hinterhergeschaut.
Ich sehe nicht aus wie ein Säufer.
Ich bin ein großer, starker, junger Mann der ein selbstsicheres Auftreten hat.
Ich bringe den „Fun“ in den funktionalen Alkoholismus.
Ich war schon immer trinkfest gewesen.
Nach einer durch gerockten Woche geht man halt mal einen saufen und im Studium trifft man halt mal auf Russen und andere Osteuropäer.
Vielleicht geht man am Wochenende auch mal Skat spielen oder man geht auf ein Konzert und schmeißt sich in die verschwitzte Menge.
Da muss man halt was aushalten können.
Das ist jetzt der erste Text den ich seit einem halben Jahr schreibe.
Vor einem halben Jahr war ich Verhandlung mit einem kleinen aber feinen Verein um zwei Photobücher von mir zu veröffentlichen.
Das war und ist ein Lebenstraum von mir.
Ich war nicht dazu in der Lage die Verhandlungen konsequent zu Ende zu führen.
Dabei bin ich nicht nur groß und stark, ich bin auch intelligent und kompetent.
Das ist nicht meine Meinung, sondern die von allen anderen.
Ich war beim Arzt, weil meine Mutter meine Diagnose von der Notaufnahme gefunden hatte.
Ich hatte mir im Juni Mut angetrunken, nachdem ich mir selber vorgerechnet hatte, dass ich innerhalb von drei Wochen 600 Euro versoffen hatte.
Das ist nicht mehr trinkfest.
Das ist ein ernsthaftes Problem, dass sich in mein Leben hineinfrisst.
Vor knapp acht Monaten wurde ich zum wiederholten Mal von dem Verein ausgenutzt, missbraucht und weggeworfen, in dem ich mich über zehn Jahre mit Schweiß und Blut und Eigenkapital engagiert habe.
Danach wurde mir von diesem Verein gesagt, dass ich mich doch darüber freuen soll, dass ich weggeworfen wurde.
Ebenfalls wurde mir gesagt, dass die verantwortlichen Personen nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, da sie weiblich und jünger als ich sind.
Gleichzeitig wurde von mir erwartet, dass ich mich weiter für den Verein engagiere, ohne das irgendeine Gegenleistung erbracht wurde.
Immer wieder wurden Absprachen nicht eingehalten und faule Lügner, die sich auf meine Kosten profiliert haben wurden für meine Erfolge belohnt.
Ich durfte den Leuten die mich ausgenutzt haben die Arbeit hinterher tragen und dann wurde auf mir herum getrampelt.
Aus irgendwelchen Gründen saufe ich gerade wie ein Loch und bekomme nichts mehr gebacken.
Aus irgendwelchen Gründen passen gerade meine Eltern auf mich auf, weil sie sich ernsthafte Sorgen um mich machen.
Aus irgendwelchen Gründen habe ich gerade keinen Spaß mehr und gehe deswegen in einer Woche in die Klinik.
Der sogenannte gemeinnützige Verein hat mich ja dazu aufgefordert meine Problematik kreativ zu verarbeiten.
Gut. Bitte.
Dann fangen wir mal an.


Als Link der Woche nehme ich hier mein Vorbild für dieses Projekt:

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