- Warum säufst du?
- Um zu vergessen.
- Was willst du denn vergessen?
- Dass ich saufe.
Meine Waschmaschine braucht für eine
Ladung im Durchschnitt zweieinhalb Stunden.
Vor einem Jahr habe ich sie zweimal in
der Woche morgens angestellt, habe das Radio angemacht und bin dann
putzend durch meine Wohnung getanzt.
Gestern habe ich es in derselben Zeit
geschafft endlich den Boden in der Küche zu wischen.
Vorgestern habe ich in derselben Zeit
endlich das Bad geputzt.
Die Wohnung ist in keinem verwahrlosten
Zustand, sie muss einfach nur mal kurz geputzt werden.
Ich nehme es mir seit zwei Wochen vor.
Gestern war eigentlich auch eine Lesung
von mir geplant, aber ich schaffe es nicht meine eigenen Texte zu
lesen. Also habe ich sie abgesagt, obwohl ich mich tierisch darauf
gefreut habe.
Ich schaffe es nicht mich für zehn
Minuten am Tag mit der Gitarre hinzusetzen und meine Lieder zu üben.
Eigentlich habe ich Spaß daran mir Melodien für meine Texte
auszudenken, aber ich schaffe es gerade nicht.
Am Montag habe ich all meinen Mut
zusammengenommen und habe eine sehr gute Freundin angerufen um über
mein Problem zu reden.
Ich hatte mir vorgenommen nicht zu
weinen, aber das habe ich nicht geschafft.
Wir haben uns an einen Steg gesetzt und
über die aktuelle Situation geredet.
Praktischerweise hat sie einen Bruder,
der schwerer Alkoholiker ist und war mehr als aufgeschlossen.
Man soll sich in Krisen Unterstützer
suchen und man soll an die Öffentlichkeit gehen, also habe ich sie
darum gebeten mindestens drei Personen aus unserem Freundeskreis
anzurufen und sie über die Situation zu informieren.
Ich hatte mehr als genug getrunken und
nachdem wir fertig waren mit reden bin ich gestolpert und bin in ein
Boot gefallen.
Danach habe ich noch mal selber einen
Freund angerufen und war wieder kurz vorm Heulen.
Am selben Tag habe ich auch meine
Arbeitskollegen darüber informiert, dass ich für die nächsten drei
Monate nicht mehr oder nur begrenzt zu erreichen bin. Meinen Chef
hatte ich die Woche vorher informiert.
Praktischerweise hat meine eine
Kollegin schon mehrfache Erfahrung mit Alkoholikern als Partnern.
Letzten Freitag haben zwei Freunde
geheiratet, es war ein wunderbarer Tag von vorne bis hinten. Wir
haben gespielt, gescherzt und gelacht.
Während andere tanzen waren, habe ich
Kindern Dummheiten beigebracht, weil mir das besonders Spaß macht.
Als ich dann nach Mitternacht zuhause
war habe ich einen Heulkrampf bekommen.
Positives Feedback auf meine Texte kann
ich nicht genießen.
Den Applaus bei meinen Auftritten nehme
ich war, aber nicht in mir auf.
Ich kann mich nicht mehr über meine
Erfolge nicht freuen.
Einen Tag vor der Hochzeit habe ich mir
bei meinem Hausarzt die Einweisung für die Klinik abgeholt.
Die Schwester wünschte mir noch mal
alles Gute.
Als ich mir die Kostenübernahme bei
der Krankenkasse abgeholt habe hat mir der Bearbeiter verwirrt und
traurig hinterhergeschaut.
Ich sehe nicht aus wie ein Säufer.
Ich bin ein großer, starker, junger
Mann der ein selbstsicheres Auftreten hat.
Ich bringe den „Fun“ in den
funktionalen Alkoholismus.
Ich war schon immer trinkfest gewesen.
Nach einer durch gerockten Woche geht
man halt mal einen saufen und im Studium trifft man halt mal auf
Russen und andere Osteuropäer.
Vielleicht geht man am Wochenende auch
mal Skat spielen oder man geht auf ein Konzert und schmeißt sich in
die verschwitzte Menge.
Da muss man halt was aushalten können.
Das ist jetzt der erste Text den ich
seit einem halben Jahr schreibe.
Vor einem halben Jahr war ich
Verhandlung mit einem kleinen aber feinen Verein um zwei Photobücher
von mir zu veröffentlichen.
Das war und ist ein Lebenstraum von
mir.
Ich war nicht dazu in der Lage die
Verhandlungen konsequent zu Ende zu führen.
Dabei bin ich nicht nur groß und
stark, ich bin auch intelligent und kompetent.
Das ist nicht meine Meinung, sondern
die von allen anderen.
Ich war beim Arzt, weil meine Mutter
meine Diagnose von der Notaufnahme gefunden hatte.
Ich hatte mir im Juni Mut angetrunken,
nachdem ich mir selber vorgerechnet hatte, dass ich innerhalb von
drei Wochen 600 Euro versoffen hatte.
Das ist nicht mehr trinkfest.
Das ist ein ernsthaftes Problem, dass
sich in mein Leben hineinfrisst.
Vor knapp acht Monaten wurde ich zum
wiederholten Mal von dem Verein ausgenutzt, missbraucht und
weggeworfen, in dem ich mich über zehn Jahre mit Schweiß und Blut
und Eigenkapital engagiert habe.
Danach wurde mir von diesem Verein
gesagt, dass ich mich doch darüber freuen soll, dass ich weggeworfen
wurde.
Ebenfalls wurde mir gesagt, dass die
verantwortlichen Personen nicht zur Rechenschaft gezogen werden
können, da sie weiblich und jünger als ich sind.
Gleichzeitig wurde von mir erwartet,
dass ich mich weiter für den Verein engagiere, ohne das irgendeine
Gegenleistung erbracht wurde.
Immer wieder wurden Absprachen nicht
eingehalten und faule Lügner, die sich auf meine Kosten profiliert
haben wurden für meine Erfolge belohnt.
Ich durfte den Leuten die mich
ausgenutzt haben die Arbeit hinterher tragen und dann wurde auf mir
herum getrampelt.
Aus irgendwelchen Gründen saufe ich
gerade wie ein Loch und bekomme nichts mehr gebacken.
Aus irgendwelchen Gründen passen
gerade meine Eltern auf mich auf, weil sie sich ernsthafte Sorgen um
mich machen.
Aus irgendwelchen Gründen habe ich
gerade keinen Spaß mehr und gehe deswegen in einer Woche in die
Klinik.
Der sogenannte gemeinnützige Verein
hat mich ja dazu aufgefordert meine Problematik kreativ zu
verarbeiten.
Gut. Bitte.
Dann fangen wir mal an.
Als Link der Woche nehme ich hier mein
Vorbild für dieses Projekt:
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