Freitag, 16. April 2010

Im Gespräch mit...

Karin Kant

Karin Kant arbeitet zur Zeit in der Jobwerkstatt Mädchen und ist eine sehr interessante und ergiebige Gesprächspartnerin.

Da Häng: Du hast mir ja bereits erzählt, dass du Lehrerin an einer Berufsschule warst. Was hast du davor gemacht?
Karin Kant: Ursprünglich habe ich nach der 10. Klasse eine Ausbildung gemacht und zwar zur Facharbeiterin für Datenverarbeitung. Damals noch an den Großrechenanlagen, weil Computer in dem Sinne es damals noch nicht gab. Da habe ich dann zwei Jahre als Operator an so einer Anlage gearbeitet. Nur zwei Jahre deshalb, weil dann mein erstes Kind geboren wurde und Schichtarbeit nicht mehr ging. Und danach bin ich dann an die Berufsschule gegangen, auch für Datenverarbeitung. Da habe ich dann dreizehn Jahre lang die unterschiedlichsten Fächer unterrichtet, hauptsächlich Programmierung

D.H.: Wie alt warst du, als du dein erstes Kind bekommen hast?
K.K.: 21, das war ja für DDR- Verhältnisse üblich.
D.H.: Inwiefern hat sich das heute geändert?
K.K.: Heute ist es auf jeden Fall so, dass die Kinder später geboren werden, als es in der DDR der Fall war. Wobei man sagen muss, dass im Westen die Kinder immer später geboren wurden als in der DDR, weil da die Bedingungen einfach besser waren, sprich man konnte nachher immer noch weiter arbeiten. Die Kitaversorgung und die eigene soziale Versorgung waren abgesichert, sodass man sich da keine Gedanken machen brauchte und Kinder kriegen konnte, wenn man wollte. Heute war meine Tochter zum Beispiel mit 24 eine der jüngsten in den Vorbereitungskursen. Aber das Verhältnis ist heute ein ganz anderes. Das hat mit Ausbildung zu tun, mit sozialer Sicherheit bzw. möchte man erst einen bestimmten Lebensstandard haben, um dann irgendwann mal Kinder zu kriegen.
Was ich wieder für bedenklich halte für die Kinder, weil so alte Eltern meistens sehr überbesorgt sind, was auch nicht wieder positiv ist. Aber das ist sowieso ein strittiges Thema. Es ist auf jeden Fall eine rückläufige Tendenz. Dann gibt es noch das andere Phänomen, das wir hier in der mädchenspezifischen Arbeit beobachten können, dass Mädchen sehr jung Kinder kriegen um sich über ALG II „sozial abzufedern“. Nach dem Motto: Familie, weil Ausbildung kriege ich nicht und Job auch nicht, also dann Kinder. Das ist dann auch eine Tendenz, die immer mehr wird. Das ist wirklich ein Problemfall.
D.H.: Was meinst du mit sehr jung?
K.K.: Naja so fünfzehn, sechzehn. Halt noch vor dem Abschluss der Schule.
D.H.: Wenn sich diese Mädchen dann abgefedert haben, machen sie dann noch etwas oder bleiben die dann Heimchen am Herd?
K.K.: Meistens bleiben sie als Heimchen am Herd, zumindest sagen das die ersten Statistiken, die es darüber gibt. Sie nehmen sich zwar immer vor etwas zu machen, machen es aber nicht. Meistens folgen dann auch weitere Kinder. Die fühlen sich dann halt in so einer Rolle und sehen darin ein Stückchen ihrer eigenen Perspektive. Die Mädchen versuchen sich abzusichern und versuchen dadurch auch Männer an sich zu binden, sprich diese kleinste Zelle Familie irgendwie hochzuhalten, was dann oft nicht klappt in so einem Alter. Und dann diesen eigenen Sprung zu schaffen, doch noch eine Ausbildung oder eine Weiterbildung zu machen, den kriegen sie meistens nicht hin. Es sind auf jeden Fall bildungsferne Schichten, die davon betroffen sind, weil die anderen in ihrem Ehrgeiz vollkommen anders an ihre Lebensplanung herangehen. Für die Betroffenen ist es ein Rettungsanker, kleinste Zelle Familie hat ja auch ein Stück mit Geborgenheit zu tun. Sie haben eine Aufgabe und sie fühlen sich in einem Stückchen Gemeinschaft drin und zugehörig, was sie sonst nicht hätten.
D.H.: Was hältst du von der immer wiederkehrenden Diskussion von der Doppelbelastung berufstätiger Mütter?
K.K.: Das ist ja auch immer eine Frage der Empfindung und der eigenen Herangehensweise. Ich habe das nie als Doppelbelastung empfunden, weil es - erst recht damals- normal war und dadurch war es auch für mich normal. Man hatte die soziale Abfederung und die Möglichkeit sich weiter zu qualifizieren. Wenn es eine Doppelbelastung war, habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Die Ebenen, die ich hatte, haben mich gut ausgefüllt. Die Arbeit, die mir Spaß gemacht hat, das Fernstudium, weil man da immer was Neues dazu kriegte und meine Kinder haben mir auch Spaß gemacht, weil das wie ein Hobby war. Die Zeit, die dann noch übrig blieb, hat man dann natürlich in das Hobby investiert. Insofern war es für mich keine Doppelbelastung und wir haben ja auch nicht hinterm Mond gelebt. Diese Diskussion kommt ja erst seit der Wende. Da es in der früheren BRD auch nicht so üblich war, dass die Frauen arbeiten waren. Die können sich wiederum schwer vorstellen, wie das funktionieren soll, dass man gleichzeitig arbeiten geht und Kinder großzieht und sich vielleicht noch weiter qualifiziert. Für die ist es ganz einfach ein enormes Pensum. Und wenn du in Programmen arbeitest wie Gender Mainstreaming, dann gibt es da ganz einfach verschiedene Sichtweisen. Ich sehe das jetzt nicht als Verlust meiner Lebenszeit, sondern es ging. Ich wüsste nicht, ob ich das heute noch genauso machen würde, aber ich bin ja auch älter geworden.
D.H.: Was ist Gender Mainstreaming?
K.K.: Das hat was mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun, nach dem top down Prinzip, also dass es in allen Ebenen durchgesetzt wird. Dass man in den Firmen und auch in der Jugendarbeit die Geschlechter gleichberechtigt behandelt und gleiche Möglichkeiten schafft. Das geht hin bis zur Gender Budgetierung, wo dann Gelder eingestellt werden um zu überprüfen, inwiefern eine Sportfläche von Jungs oder Mädchen genutzt wird. Oder die Tatsache, dass Frauen, wenn sie denn Kinder haben, eine andere Belastung haben oder auch andere Arbeitszeiten brauchen als Männer. Und dass der Beruf oder die Tätigkeit genauso interessant für Frauen, bloß teilweise aufgrund der Belastung nicht auszuführen ist. Oder Gender Prinzip bei Einstellungsgesprächen. Wenn ein Mann sagt, er hat zwei Kinder, dann wird er besonders gerne genommen. Aus dem ganz einfachen Grunde, weil man sagt, wenn der zwei Kinder hat, ist der total gut sozial engagiert und gefestigt. Wenn eine Frau hingeht und sagt, sie hat zwei Kinder, stürzt das total ab, weil man denkt, die Kinder werden immer krank, die fällt aus, die hat keine Konzentration auf der Arbeit. Um dem entgegen zu wirken gibt es jetzt das Gender Mainstreaming, was sich in der Bundesrepublik durchsetzen soll.
D.H.: Wie sieht deine Arbeit hier in der Jobwerkstatt Mädchen aus?
K.K.: Die Jobwerkstatt Mädchen ist ein Projekt zur Förderung von Mädchen direkt an der Schnittstelle Schule/ Beruf. Also für Mädchen, die eine Ausbildungsstelle suchen oder zur beruflichen Orientierung, um sich bestimmte Ausbildungen erst einmal zu betrachten. Dazu gehört dann eben auch die Begleitung der Mädchen von der Schule zum Beruf.
D.H.: Warum speziell Mädchen?
K.K.: Das hat auch wieder etwas mit diesem Gender- Ding zu tun. Speziell im Medienbereich haben sich Männer dermaßen in den Vordergrund gedrängt, dass sich Mädchen gar nicht erst trauen. Da bedarf es einer bestimmten Förderung der Bildungskompetenzen, damit ein Gleichstand herrscht. Es ist auch oft so, dass sich Mädchen an diesem Punkt zurückziehen. Meistens ist es ja nicht so, dass wenn am Computer irgendetwas nicht stimmt, dass das Mädchen das Ding aufmacht und da baut. Sondern dann einer der männlichen Personen kommt und sagt „Ich mach mal schnell.“ Das heißt ja nicht, dass sie es nicht könnte, sondern es sich vielleicht nicht zutraut. In der Regel sind technische Berufe jungsdominiert, was aber eigentlich unbegründet ist, weil das Grundverständnis von beiden Seiten dasselbe, aber die Förderung es nicht ist. Es gibt zum Beispiel Studien darüber, dass Mathe-/ Physiklehrer im Oberstufenbereich hauptsächlich auf die Jungs in den Klassen achten. Dadurch nehmen sich die Mädchen von alleine zur Seite. Mädchenmädchen, wie manche sagen, haben auch ein anderes Verständnis von Mädchen, die sagen, sie wollen nicht so sein wie ein Junge. Wenn sie sich jetzt dafür offen interessieren würden, würden sie nicht mehr in die Mädchen Mädchen- Kategorie eingestuft werden, sondern halbwegs kerlig, das wollen sie ja auch nicht. Die Jobwerkstatt bietet hier einen geschützten Raum, wo sich Mädchen ausprobieren können. Einmal für sich selbst und weil sie sich da nicht aufgrund von irgendwelchen Rollenbildern behaupten müssen. Zwischen Schule und Ausbildung ist es ja auch immer wichtig, wie man vor dem anderen Geschlecht wirkt. Ob Jungs da besonders cool oder toll wirken wollen oder Mädchen eben mädchenhaft. Gerade zwischen 14-17 spielt dieses Rollenspiel eine große Rolle. Da ist es ganz wichtig, dass sie diese Rolle nicht spielen müssen, sondern so sein können, wie sie sind. Wir haben auch keine Männer im Team, weil das eben diesen Schutzraum aufbrechen würde. Ich bin jetzt nicht die Emanzenfrau. Im normalen Leben ist es ganz wichtig, dass sich beide Geschlechter behaupten können. Aber um sich erstmal behaupten zu können, braucht es erst mal diesen Raum, wo man sich ausprobieren kann, ohne dass irgendwelche Rollenklischees im Spiel sind. Ich sehe das ja auch gerade bei meinem Sohn, der sich aufspielen muss, wenn ein Mädchen mit im Raum ist, weil man in dem Alter halt cool wirken muss.
D.H.: Was hast du vor der Jobwerkstatt gemacht?
K.K.: Da war ich Jugendclubleiterin im Schliemann- Club in Alt- Glienicke. Hat totalen Spaß gemacht. Ursprünglich war es eine gemischte Altersgruppe von 10 bis 21. Später mussten wir es dann abtrennen, weil es immer Stress mit den Nachbarn gab. Wir waren ja da inmitten einer Einfamilienhaussiedlung. Wir hatten da so einen tollen Nachbarn, der hat uns immer das Umweltamt auf den Hals gehetzt. Bei allen Diskotheken und Konzerten und das Wochenende für Wochenende, worauf wir dann nur noch Dezibel messen mussten. Daraufhin wurde uns dann im so genannten Ghetto, also im Neubaugebiet, ein Container hingestellt, wo dann unsere Älteren umgelagert wurden, was wir dann aber auch nicht so eng gesehen haben. Die Großen haben dann immer für die Kleinen die Diskotheken durchgeführt.
Ich bin ja da gelandet, nachdem die Berufsschulen nach der Wende abgewickelt und in die OSZ eingegliedert wurden. Da ging es auch darum, wer jetzt bleibt und wer nicht. Parallel dazu hab ich mich schon umgesehen. Per Zufall kam ich da an diesen Jugendclub, hab mich da einfach beworben und wurde auch genommen. Erstmal als normale Mitarbeiterin. Die ersten Wochen waren so, als wäre ich dauernd im Ferienlager. Ich kam mir da überhaupt nicht wie auf Arbeit vor, weil in der Berufsschule acht Stunden vor der Klasse stehen und unterrichten, ist natürlich etwas völlig anderes als so ein Jugendclub. Zwei Monate später ging da der Leiter weg und ich war die einzige, die die Qualifikation hatte um die Leitung zu übernehmen.
D.H.: Ich danke für das Gespräch.


DA HÄNG KLOTZ
die ersten anderthalb Jahre
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